151: Die Zeiten, als ein Menschenleben nicht viel wert war

Die ethischen Werte der Menschen wandeln sich mit den Zeiten. „Tempora mutantur, nos et mutamur in illis! », so hieß es schon bei den Lateinern – So müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen, ob uns das gefällt oder nicht, dass sogar das Verständnis von Ehe und Familie, ja die Auffassung vom Wert und den Aufgaben der Menschen, zeitbedingten Wandlungen unterworfen sind. Manche Wandlungen sind notwendig und berechtigt, manche aber sind verwerflich.

In der Nazizeit, die ich erlebte (1933 – 45), richtete sich der Wert des Menschen allgemein nach seiner Produktivität und seiner Akzeptanz in der politisch rechts gerichteten Gesellschaft. Der Wert der Frau wuchs zusätzlich mit ihrer Fähigkeit und Bereitschaft zur Reproduktivität. „Dem Führer ein Kind schenken“, war eine bekannte Rede. Der Führer benötigte Kanonenfutter für den Endsieg. Der Wert des Mannes richtete sich nach dem Maß seiner Wehrhaftigkeit „Dulce et decorum pro patria mori“, „süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben“, was zuletzt aber keiner mehr glaubte.
Die speziell christlichen Werte, besonders die Feindesliebe, verdampften im Getümmel der politischen und militärischen Leidenschaften. Den Feind musste man liquidieren. Der einzelne Mensch, das Individuum an sich, das hinter dem Kollektiv „Feind“ stand, verlor seine Existenzberechtigung.
So kam es in der Zeit, von der ich berichte, zu „Kollateralschäden“ , für die man sich „kein Gewissen machen“ musste. So auch in Abbach.
Ich habe im „Online-Lesebuch“ ( Nr.86) von der Erhängung eines polnischen Zwangsarbeiters in einem Handwerksbetrieb hier am Ort berichtet. Der Mann hieß Felix Haberko. Er war 32 Jahre alt. Er soll sich an zwei deutsche Mädchen herangemacht haben. Die Gestapo (= Geheime Staatspolizei) entzog die Sache einem ordentlichen Gericht, vor dem er sich hätte rechtfertigen können. Ideologiegetreu machte sie kurzen Prozess durch Erhängen im Seidl-Steinbruch. Seine Eltern Wizenty und Marianna Haberko in Wolkorn / Polen mussten es nicht mehr erfahren, wie der Sohn vor die Hunde ging, weil sie beide schon verstorben waren.[1]
War es auch bei Sydor Wotoszyn so? Es scherte sich keiner darum. Er war ein ukrainischer Landarbeiter, Volkstumspole; und er war zwangsmäßig bei einem Guts-Pächter in Gemling beschäftigt. Er war am 17. Februar 1920 in Mosciska / Polen geboren. Welche Gründe trieben den 23 Jährigen, in Gemling abzuhauen? Es ist nicht berichtet. Auf der Flucht stellte ihn ein Abbacher Polizist (Name dem Verfasser bekannt) auf der Straße nach Oberndorf . Als der „Häftling“ (Flüchtling) sein Heil durch einen Sprung in die Donau suchte, ermordete ihn der Gendarmeriebeamte beim Schwimmen über die Donau mit einem gezielten Schuss aus der Pistole.. Es war der 1. September 1943, als er Arme von der Bildfläche verschwand. Fünf Tage später, am 5. September 1943, 14.00 Uhr, wurde er am linken Donauufer bei Kilometer 2397 tot aufgefunden.
Bürgermeister Albert Lehner meldete den grausigen Fund am 5. Oktober 1943 an die Kreisbehörde, der Landrat genehmigte am 2. Dezember die Eintragung im Sterbebuch von Oberndorf, was Bürgermeister Lehner am 31. Dezember in Unkenntnis näherer Fakten zu Person und Umständen der Hinrichtung vollzog.[2]
Doch mit der Kapitulation am 8. Mai 1945 war noch nicht Schluss mit der Willkür gegen das menschliche Leben! Waren es bisher die verdammten Nazischergen, die gewissenlos hinrichteten und mordeten, vollzogen dieses „Recht“ hernach die Befreier. Die Angst vor den Russen war wohlbegründet (Siehe Online-Lesebuch Nr.121 : Flüchtlinge und Vertriebene etc.). Aber die Amerikaner, die uns in Bad Abbach besetzten, waren die nicht anders?
Ich erinnere mich noch genau daran, wie es da G.I. s, gab, die Mitleid zu uns hungernden Kindern hatten und bereitwillig aus ihren Food Paketen austeilten, was sie selbst nicht verbrauchen konnten: Dosenfleisch, Käse, Zwieback, Trockenei und Trockenmilch. Wir Kinder riskierten viel, um an die begehrten Lebensmittel zu kommen. In manchen Fällen, z. B. wenn man einen geeigneten Tauschartikel hatte (Militaria), gaben die `feindlichen´ Soldaten sogar Zigaretten.
Auch willige Frauen freundeten sich mit Amis an, um an Schokolade, Leckereien oder andere lebensmittel zu kommen. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, es war eine holde Schar aus Abbach geladen , darunter auch einige verheiratete Frauen, die nicht mehr damit rechneten, dass ihr Ehemann vom „Felde der Ehre“ wieder zurückkommt. Beim alten Rathaus mussten solche einmal auf ein offenes Militärfahrzeug aufsteigen, um sich zur Untersuchung zum Gesundheitsamt in Kelheim karren zu lassen.
Eine übergroße Not an wichtigsten Dingen für das ganz einfache Leben mag die Schuld solcher Fehltritte mäßigen.
Vielleicht trieb der Hunger, oder auch nur die Neugier, den sieben Jahre alten Schüler Josef Robold aus dem „Geisthaus“ am 30. April 1945 am helllichten Nachmittag (15 Uhr) zum Militärlager an der Donau. Zwischen „Damm“ und „Köttterlbau“ (= Altwasser gegenüber Xaver Kötterl) hatten die Amis ein Zeltlager errichtet.
Der Ami, der gerade Wache schob, musste doch erkannt haben, dass sich da ein Kind näherte. War er besoffen oder ein Unmensch, wie es solche auch unter den „Befreiern“ gab und gibt ( Siehe Irak, Bagdad, Abu Graib!). Er schoss auf das Kind Josef Robold. Dieses starb an innerer Verblutung in Folge eines Bauch- und Brustdurchschusses. [3]
Bei dem allgemeinen Trubel der ersten Besatzungstage nahmen diese Tragödie nur wenige von hier zur Kenntnis und zum Anlass, zu protestieren. Stammte das Kind ja so wie so „nur“ aus dem Geisthaus. Hat man an diesen Tagen doch auch immer wieder einen gefallenen Soldaten in der Flur oder in einem Haus von Abbach gefunden, die man zur Beerdigung auf dem Friedhof im Leichenhaus bereitlegte.
Fünf von ihnen begruben wir, Pfarrer Alois Lehner, der Jugendliche Alois Müller und ich in einem gemeinsamen Grab hinter der Pfarrkirche. Irgendwelche Leute hatten ihnen vorher alles ausgezogen, was man noch weiterverwerten konnte.
Jahre später wurden die jungen Toten zum Leichenhaus hin umgebettet.
Josef Robold wurde gleich am Leichenhaus, an der Wand zur Kirche hin, beerdigt. Später legte man seinen Vater, den Hilfsarbeiter Johann Robold und seine Mutter Franziska bei ihm zur letzten Ruhe.
[1] Sterbematrikel Bad Abbach Nr.21 / 1942 v. 16. Oktober 1941. Kopie Archiv Haberko II.18.1.3.a.
[2] Sterbematrikel Oberndorf Nr.11 / 1943 v. 31.Dezember 1943. Kopie Archiv Wotoscyn s.o.!
[3] Sterbematrikel Bad Abbach Nr. 11/1945 v. 1. Mai 1945. Kopie Archiv Bad Abbach II.18.1.3.a.

Von |2022-01-13T08:36:58+01:0013. Januar 2022|Lesebuch|0 Kommentare

152: Franz Xaver Marchner (1920 – 1986) an Otto Baumann – Gedanken

Exzerpt aus 18 Briefen und 1 Karte des Franz Xaver Marchner an Otto Baumann aus den Jahren 1973 bis 1984

Wie es scheint, empfanden sich beide Künstler als seelenverwandte Schicksalsgenossen. Es galt „Solamen socios habuisse malorum“. („Es ist ein Trost, im Elend Genossen zu haben“ – lateinisch) Dies ist der Leitsatz über alle Briefe.

Hier ein paar Kostproben:

Weltschmerz – Ergebung

1.2.1978

Heute früh erst konnte ich Ihren Brief vom 30.12.1977 aus Parkstetten dem Briefkasten entnehmen. Ich danke Ihnen sehr für Ihre tiefschürfenden Gedanken zum Dasein. Ich weiß vieles vom Leben und ich habe es in letzter Zeit oft gedacht und geäußert, ich möchte es in dieser Form ein zweites Mal nicht mehr haben. Vieles durfte ich erkennen und auch erleben, aber es war vieles auch so bitter hart, dass ich oft, in den besten und stärksten Jahren meines Lebens, weinte. Was, und ich glaube da sind wir Schicksalsgenossen, unser Leben so besonders hart gestaltete, ist die äußerst differenzierte Sensibilität für alle Empfindungen, Lüste und tiefsten Schmerz ansprechbar, und gleichzeitig minimal begabt für den heutigen Lebenskampf. Ich frage mich oft, wieso ist es mir nicht gegeben, oder vielen Künstlern, dass er wirtschaftlich ohne Sorgen leben kann von seiner Arbeit. (mit einer Familie!). Ich stimme dem Goethegedanken völlig zu, aber unbewusst kann man nur leben, wenn man jung ist, die Rechnung( en) für die schönen Stunden kommen aber mit Sicherheit im Alter. Wir können die Gesetze und Pläne unseres Schöpfers nicht ändern, alle und alles auf dieser Erde müssen das Kommen und Gehen schweigend hinnehmen, und ich glaube, es ist richtig und auch gut für uns alle. Nur der Gedanke, dass Hunderte von Generationen, die vor uns gelebt haben, noch lebten, dieser Gedanke allein gibt schon die Antwort. Seit längerer Zeit ist auch in mir das Bedürfnis zur geistigen Ordnung wach, denn man weiß weder den Tag noch die Stunde. Ich glaube, dass Gott uns so gewollt hat, wie wir sind. Vielleicht hilft unsere Arbeit anderen Menschen, die es noch schwerer haben, dass ihre Seele angerührt wird und Freude empfindet. Zu Ihrem Bilderverkauf meinen Glückwunsch!

Über Zahnprobleme und die Oberndorfer

Aus Ettal am 16.3. 1977

Herr Baumann, sind Sie mit den Zähnen vorsichtig! Die können einen ganz schön mitnehmen. Ich halte mich immer noch ein bisschen an der Zahnarztwand fest, um immer ein bisschen in Kontrolle zu sein. Goethe hat schon, wenn er von großem Schmerz sprach, von Zahnschmerz gesprochen. Ich hoffe, Sie haben auch das gut hinter sich gebracht. Nur nicht nachgeben. Sie sind ein unverwüstlicher Oberndorfer. Die reißen die Zähne mit der Beißzang.

Zu Frauen und die Kunst

Aus München am 30.11.1977

Ihren Brief habe ich mit großer Aufmerksamkeit gelesen und glaube, Sie auch zu verstehen, denn einige der Frauen, die mich umgeben haben, waren ähnlichen Kalibers, allerdings waren einige darunter, die waren „ unter dem Strich“. Da hat nur der Sex gestimmt. Ansonsten wurde mir das „Korsett“ immer sehr schnell zu eng. Auch hatte ich für Frauen nie Geld. Ich war froh, dass ich zu leben hatte und in Ruhe arbeiten konnte. Einige Male war ich sehr nahe daran zu heiraten, bekam dann immer wieder Angst, verwaltet zu werden, und so suchte ich stets das Weite wie Josef.

Aber zusammengefasst: Eine ist zu viel und keine ist zu wenig.

Ohne Geld als Maler zu leben ist mir immer sehr schwer gefallen, vielleicht hätte ich es getan, glücklich bin ich auch nicht. Ich glaube aber , der Mensch klingt nur voll in der Zweisamkeit, und für sein künstlerisches Tun ist eine Frau schon notwendig. Der Pferdefuss ist eben die sich daraus ergebende Enge.
Zum gleichen Thema aus dem folgenden Brief

Ihrer Frau möchte ich hier mehrmals sehr herzlich danken, dass sie sich so großzügig zeigte, und das große Opfer der „Trennung“ so widerspruchslos auf sich nahm. Aber eine kleine Trennung ist zwischendurch für eine Ehe auch einmal gut.

Von |2022-01-13T08:12:46+01:0013. Januar 2022|Lesebuch|0 Kommentare

153: Johann Seidl – ein Mann, der das „Heil“ des „1000 jährigen Reiches“ über Abbach bringen wollte

Johann Seidl war eine der profiliertesten Persönlichkeiten in Abbach des „Dritten Reiches“.

Weil er hier am Ort, und auch darüber hinaus, in seinen politischen Positionen und als Bezirksbauernführer großen Einfluss ausüben konnte, ist Vieles, was ich aus dieser Zeit berichtete, im Lichte seines Wollens und Wirkens zu sehen. Schon ab 1935 wurde er neben dem Ortsgruppenleiter der NSDAP und Bürgermeister Georg Frank zum 1. Beigeordneten bestimmt. 1942 löste er als oberster NSDAP-Mann Georg Frank ab.

Seidl Johann

ohann Seidl wurde am 16.12.1880 in Unterbierwang, Gemeinde Grünthal, Kreis Wasserburg geboren. Er war Mitglied der katholischen Kirche und von Haus aus sehr religiös. Durch die evangelische Heirat in die Familie Oppel hinein wurde er bei den Katholischen irregulär, woran er im Alter sehr litt. Er stammte nämlich aus einem katholischen Bauernhof und hatte fünf Brüder und eine Schwester. Die Eltern hießen Jakob und Katharina Seidl. Die Verwandtschaft, die im nahen Umfeld lebte, war sehr umfangreich.

1907 befand sich Johann Seidl zum ersten Male in Weichs bei Abbach und hatte daran Gefallen gefunden. Es zog ihn dann aber als Verwalter nach Ziegelfeld, einem Nachbardorf von Gossenberg im Coburger Land in Oberfranken. Dort lernte er Frieda Oppel, die Stiefschwester des Ernst und Eduard Schulz kennen und lieben, und sie besiegelten ihren Bund mit dem Abschluss der Ehe, die jedoch kinderlos blieb.

Einer seiner Brüder, Alois Seidl, ließ sich ebenfalls in Bad Abbach nieder und lebte dort bis zu seinem Tode. Ihm und seiner Frau Therese gehörte das Anwesen in der heutigen Frauenbrünnlstraße, neben dem damaligen katholischen Kindergartren des Nikolausvereins. Er und seine Familie mit den zwei Kindern Resi und Reinhold hatten sich in Bad Abbach gut eingelebt.

Weitere genealogische Daten zu Johann Seidl waren nur durch umfangreiche Matrikelarbeiten in seiner Heimat Unterbierwang, bzw. Grünthal zu erhalten, spielen aber hier keine Rolle mehr. Aus seinem Geschwisterkreis stand zum Zeitpunkt meiner Recherchen kein Lebender mehr zu Befragungen zur Verfügung .

Johann Seidl mit Frau Frieda und Ernst Schulz, der Schwager, zogen dann zunächst als Pächter, zusammen mit der Mutter Berta Oppel, in das Gut Weichs, das damals Hermann

Fiedler, dem Blechgroßhändler aus Regensburg Stadtamhof, gehörte.

Es scheint im Zusammenleben der Genannten Schwierigkeiten gegeben zu haben, denn aus einem Schreiben an den neuen Bürgermeister Meindl mit dem Betreff „Ausscheidung aus dem Gemeinderat“ – leider ohne Datumsangabe – es muss sich aber um das Jahr 1925/ 26 gehandelt haben, als Johann Seidl für die Liste „Wirtschaftliche Vereinigung“ im Gemeinderat saß – ist Folgendes zu erfahren:

„Dem verehrlichen Gemeinderat zur gefl. Kenntnisnahme, dass ich, infolge meines Wegzuges von Weichs, aus dem Gemeinderat ausscheide und laut damaliger Vereinbarung unseres Wahlvorschlages als Landwirtsvertreter des Großgrundbesitzes für mich Dr. Frank ( Dr.?, A.d.V.) nachrücken dürfte.

Johann Seidl, Gutsbesitzer und erster Vertrauensmann des Wirtschaftlichen Wahlvorschlags.“

Johann Seidl war, wie ich aus eigener Bekanntschaft weiß (um 1960 begleitete ich ihn als Diakon einige Male auf seinem täglichen Weg nach Frauenbrünnl), im praktischen Lebensvollzug und in seinen Zielsetzungen ein Anhänger avantgardistischer Ideen.

Einmal war ich als neugeweihter Priester in seine Altenstube eingeladen.

Seidls Leitbilder waren, weil er angeblich auch selbst von Grund auf so dachte und fühlte, und seine Lehrer ihn so führten, Vorstellungen der pädagogischen Reformbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, der sog. Kulturpädagogik, unter ihnen vor allem die Ideen des Eduard Spranger.
So war er von dessen grundlegendem vaterländischen Heimatbegriff durchdrungen, der dem Boden wie dem Blut der auf ihm lebenden Menschen eine fast mythische Bedeutung zumaß.

So stand er von vorne herein den Ideen sehr nahe, die später dem Nationalsozialismus eigen waren.

Für Hans Seidl war „ (.) „Heimat“ der Boden, in dem unser Leben, besonders unsere Kindheit und Jugend, Wurzeln geschlagen hat. Das ist nicht bloß der Ort, an dem wir geboren sind, auch nicht notwendig der Ort, an dem wir unsere Jugend verbrachten. Fern von beiden Orten kann man eine sog. Wahl-Heimat gewinnen. Heimat ist innere Verbundenheit des Menschen mit seiner Umgebung, seiner Familie und Lebensgemeinschaft, seiner Landschaft, seinem Stammes- und Volkstum, ist „geistiges Wurzelgefühl“.“[1]

Die Denkweisen von Johann Seidl entwickelten sich von sozial, katholisch, patriotisch, vaterländisch, völkisch, national, bis sie schließlich, der allgemeinen Tendenz folgend, nationalsozialistisch entglitten.

Ab da waren sein inneres wie äußeres absolutes Gesetz Befehl und Gehorsam. Ein Ausdruck dessen war z.B. seine Haltung bei der Auflösung des katholischen Kindergartens in Bad Abbach, die er betrieb. Dazu erfahren wir aus einem Brief des Pfarrers Alois Lehner an den Herrn Ortsgruppenleiter Seidl, Weichs: „(…) Bin in der gleichen Lage, wie Sie mir heute erklärten, dass ich die Weisungen meiner vorgesetzten Behörde vollziehen muss.“[2]

Aus seiner Blut- und Bodenideologie war es konsequent, dass er dem Bauern, der so sehr von seinem Grund und Boden geprägt ist, einen sog. „Bauernadel“ zumaß.

Es ist mir im Pfarrarchiv von Bad Abbach ein Brief des Pfarrers Hiendlmeier von Poikam, auf ein Schreiben Seidls Bezug nehmend, untergekommen, das die Bitte enthielt, der Pfarrer möge in der Familie Kraml in Eiglstetten ein Bauerngeschlecht genau untersuchen und namhaft machen, dem dieser Adel zugemessen werden müsse.

Der Pfarrer entsprach seiner Bitte, und Johann Seidl leitete die Unterlagen an die Kreisbauernkammer in Regensburg weiter.[3]

Die beabsichtigte Ehrung erfolgte erst nach dem Krieg mit einer entsprechenden Urkunde vom 1. Januar 1952.

Johann Seidl war ein Mann mit effektiven und registrierbaren Gegensätzen in seinem Herzen, wie es sich besonders bei seinen gemeindlichen und öffentlichen Anstrengungen immer wieder zeigte: Wie es befohlen war, wirkte er bei der Beseitigung der Wandkreuze aus der Schule und aus öffentlichen Räumen mit.

Ab 1942 schwang er, wie ich mich selbst erinnere, weil ich als Hitlerjunge wider Willen an den Appellen teilnehmen musste, am 9. November, dem Heldengedenktag, in Uniform markante Ansprachen am Kriegerdenkmal, das damals jenseits des Rathauses an der damaligen Augsburgerstraße stand. Er erinnerte an den heldenhaften Tod der Kämpfer für Adolf Hitler am 9. November 1923 bei der Feldherrnhalle in München, als der Hitlerputsch von der bayerischen Polizei niedergeschlagen wurde, was in seinen Augen natürlich ein Verbrechen war.

Abbacher Zeitgenossen wussten angeblich, dass er selbst mit einem Abbacher Gesinnungsgenossen an dem Ereignis in München teilgenommen hätte, was die legendären „familiären Beziehungen“ des Ritter von Epp, des späteren Reichsstatthalters in Bayern, zu Abbach, begründet hätte. In Geheimbünden oder „Familien“ werden keine Listen geführt, aber solche Bruderschaften sind oft sehr zielführend. Ein Effekt mag gewesen sein, dass die „familiäre Beziehung“ zur schnellen Verleihung des Titels „Bad Abbach“ am 7.3.1934 führte, den man vorher 10 Jahre lang vergeblich angestrebt hatte. Ritter von Epp ist Ehrenbürger von Bad Abbach.

Und nun eine andere Seite des Johann Seidl:

Im Jahr äußerster sozialer Not 1923, als weite Bevölkerungskreise hungerten, stellte er als Gutsbesitzer Milch[4], wenigstens für Babies, und Kartoffeln[5] für die Erwachsenen in großer Menge (200 Ztr.!) unentgeltlich zur Verfügung. 1922 hatte er eben erst als 2. Bürgermeister kandidiert, kam jedoch nicht zum Zuge, blieb aber Gemeinderat. Er finanzierte den Bau der Straße nach Peising. Im Jahre 1918, vor Übergang des Gutes Weichs auf ihn und den Schwager Ernst Schulz ließen sie für sich von der Gemeinde ein Leumundszeugnis ausstellen, worin gegen beide keinerlei Bedenken angeführt wurden.[6]

Weiteres über Johann Seidl ist in Statistiken über „politische Karieren“ zu berichten 1919 war Johann Seidl Mitglied des Gemeindeausschusses. Am 11.6.1922 kandidierte er als 2. Bürgermeister von Abbach, erhielt 23 Stimmen der der Ausschussmitglieder, was nicht genügte. (Weitere Kandidaten: Josef Aumeier, Landwirt, Dr. Schmitz, Arzt, Maximilian Hengge, Apotheker. Dr. Schmitz wurde 2. Bgm.). Am 7.12.1924 wurde er Gemeinderat (15. Platz von 22) auf der Liste „Wirtschaftliche Vereinigung“.

Am 9.12.1929 wurde er Gemeinderat (2. Stelle von 20) auf der Liste „Fortschritt“.

Am 22.4.1933 behauptete sich Johann Seidl als Gemeinderat (3. Stelle von 21) auf der Liste „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartrei NSDAP“/ „Kampffront schwarz-weiß-rot“, „Bauernbund“.

Am 7.3.1942 wurde Johann Seidl Ortsgruppenleiter der NSDAP (nach Georg Frank).[7]

Die letztgenannte Position brachte Johann Seidl und das ganze Gut Weichs nach Kriegsende 1945, als das sog. 3. Reich zu Ende war (8. Mai) , in arge Bedrängnis:

Zum Verständnis der Weichser Misere geht es nicht ohne Einsicht in den Spruchkammerbescheid vom 7.10.1947.[8]

Der öffentliche Kläger der Spruchkammer Kelheim hatte Johann Seidl, Gut Weichs/Bad Abbach, in die Belastetengruppe II. eingereiht. Seidls Vertreter war Rechtsanwalt A. Kölbig von Abensberg, der Vorsitzende der Spruchkammer Alfons Gottwald.

Aus diesem Bescheid erfahren wir, dass Johann Seidl vom 29.4.1945 bis 31.3.1947, fast zwei Jahre lang, in Moosburg in Internierungshaft gelegen hatte.

Er wurde also gleich nach den Kämpfen um Abbach, noch vor Kriegsende, im April 1945, in das Lager Moosburg gesperrt. Das Leben dort war eine harte Strafe für die frühere Position.

Ich kenne den Bericht von Martin Petschko, damals Gastwirtssohn und später selbst Gastwirt, dass er seinerzeit als Jugendlicher mehrmals mit dem Fahrrad nach Moosburg geschickt wurde, um dem Inhaftierten Johann Seidl ein „Fresspaket“ über den Zaun zu werfen, das ihn am Leben erhielt. Seidl sei so ausgehungert und ausgemergelt gewesen, dass er die Zeit in Moosburg ohne Hilfe aus der Heimat nicht überlebt hätte.[9]

Die Zeit der Abwesenheit Johann Seidls vom Hof in der Heimat war für den Betrieb und die beteiligten Personen eine starke Belastung.

Kommen wir aber zum Spruch der Entnazifizierungskammer von 1947, zwei Jahre nach Gefangennahme zurück:

1. „Der Betroffene ist minderbelastet Art. 11/I.

Die Bewährungsfrist beträgt 3 Jahre. Die Internierungshaft (…) wird mit 23 Monaten in Anrechnung gebracht.[10]

2. Es ist ihm während der Dauer der Bewährung untersagt:

a) ein Unternehmen als Inhaber, Gesellschafter, Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer zu leiten oder ein Unternehmen zu beaufsichtigen oder zu kontrollieren, ein Unternehmen oder eine Beteiligung daran ganz oder teilweise zu erwerben,

b) in nicht selbständiger Stellung anders als in gewöhnlicher Arbeit beschäftigt zu sein,

c) als Lehrer, Prediger, Redakteur, Schriftsteller oder Rundfunk Kommentator tätig zu sein.

Als Unternehmen im Sinne des Abs. Ia. U.II dieses Art. gelten nicht Kleinbetriebe, insbesondere Handwerksbetriebe, Einzelhandelsgeschäfte, Bauernhöfe u. dergleichen mit weniger als 10 Arbeitnehmern.

3. RM 4000.- sind zu einem Wiedergutmachungsfond zu entrichten. Im Nichteinbringungsfalle tritt anstelle von 25.- eine Arbeitsleistung von einem Tag. Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens. Streitwert 3818.“

Auf dem Hof in Weichs standen nach der ganzen Affäre dem jetzigen Abbacher Bürgermeister Mittermeier nun Schwager Ernst Schulz, auch belastet, Johann Seidls Ehefrau Frieda und endlich der Adoptivsohn Arno Seidl-Schulz als Adressaten und Vollzugspersonen treuhänderisch gegenüber.

Arno war 1946 nach schwerer Verwundung aus französischer Kriegsgefangenschaft nach Gut Weichs zurückgekehrt. Da er politisch nicht belastet war, konnte er seinem Onkel Johann Seidl treuhänderisch zur Seite stehen.“

 

Johann Seidl starb am 15.05.1965 und ist, wie sein Schwager Ernst Schulz (+ 5.10.1969), in der Familiengruft auf dem Bergfriedhof in Bad Abbach bestattet.

 

NB. An dieser Stelle besteht Veranlassung, festzustellen, dass Georg Frank, Distrikttierarzt und ab 1933 – 1945, die ganze Nazizeit über Bürgermeister in Bad Abbach, den akademischen Titel eines Doktors (DR.) nie erwarb.

Nach damaliger Gepflogenheit wurde ein prakt. Arzt, Zahnarzt oder Dentist wie Tierarzt von den Leuten eben als „Herr Doktor“ angesprochen. Auch Frank nannten die Leute in Abbach dementsprechend halt so, weil sie nichts anderes wussten. Sogar in den Schriften und Adressen des Heimatvereins, Schützenvereins und der Liedertafel ist er nach dem Krieg überall als Dr. Frank aufgeführt. Er selbst hat jedoch nie als Dr. Frank unterschrieben, auch nicht in amtl. Schreiben der Gemeinde, wohl eingedenk, dass er den Titel nie zu Recht besaß.

 

[1] Spranger, Eduard. In: Der große Herder, 1933, Bd. 5, Sp. 1433.

[2] Brief des Pfarrers Alois Lehner an den Ortsgruppemnleiter Seidl. 7.3.1942. Archiv 7.2.1.a.

[3] Brief des Pfarrers Hiendlmeier, Poikam an den Gutsbesitzer Seidl in Weichs v. 5.9.1934

Pfarrarchiv Bad Abbach , Schrank III, 11. Varia, Sache Eiglstetten.

[4] Ratsprotokoll vom 31.Mai 1923, 1. Archiv 8.6.1.a.

[5] Ratsprotokoll vom 21. Nov. 1920, V. Archiv 8.6.1.a.

[6] Gebührenregister pro 1918 . Verifikationen. XXII.14.5.3.a.

[7] Akt Kindergarten / Nikolausverein. Archiv 7.2.1.a.a.

[8] Spruchkammerbescheid vom 7.10., 20.10., 24.11. 1947. Archiv V.19.5.3.a.

[9] Persönliches Gespräch mit Martin Petschko um 2000 bei einem Treffen in Frauenbrünnl.

[10] Nach Zusatzbescheid vom 24.11.1947 blieb noch eine Bewährungsfrist von ½ Jahr abzuleisten.

Von |2022-01-13T07:32:29+01:0013. Januar 2022|Lesebuch|0 Kommentare

154: Abbach – „Ort unseres Besitzes“ – zur Klärung des Begriffes in der Schenkungsurkunde Heinrich II. des Jahres 1007

Eine spekulative Zeitreise mit den „Grafen von Abbach“.

Der bekannte Historiker Karl Bosl referierte im Oktober 1983 in Bad Abbach:

„Zwar ist Abbach als Geburtsort des letzten Sachsenkaisers und früheren bayerischen Herzogs Heinrich II. (als Bayerischer Herzog: Heinrich IV, A.d.V.) nicht gesichert, aber ein Zentralort königlicher – später adeliger – Herrschaftspolitik, königlicher locus (= grundherrschaftlich organisierter Besitz = königlicher Fronhof mit ausgedehntem Salland oder auch an leibeigene Bauern ausgetanem Hubenland (Villikation) ) ist es auf jeden Fall gewesen.“ [1]

In der Schenkungsurkunde von 1007[2] lesen wir: „Daher wisse sowohl die gegenwärtige Generation (…)als auch die in der Zukunft Folgenden, dass wir einen gewissen Ort unseres Besitzes, genannt Ahabah (…) mit all seinen Zugehörungen und Anlagen, nämlich Gehöften, Dörfern, Kirchen, Knechten und Mägden, Plätzen, Gebäuden, bebauten und unbebauten Landstrichen, Wegen und unbegehbaren Gegenden, Aus- und Rückwegen, gesucht und ungesucht, mit Wäldern und Forstungen, Jagdgründen und Fischwassern, Mühlen, unbeweglichen und beweglichen Dingen und allem Übrigen, das richtig beschrieben oder bezeichnet werden kann, zu irgendwelchem Nutzen (…) schenken und übereignen (…)“

In der Urkunde Heinrichs von 1007 ist auch der Zweck der Schenkung angegeben: „(…) dass dort ( gemeint ist in Bamberg, A.d.V) eine lebendige Erinnerung unserer selbst und unserer Eltern stattfände (…)“.

 

Es ist nach meiner Meinung wegen der Erwähnung der Eltern davon auszugehen, dass das übereignete Schenkungsobjekt von den Eltern ererbt ist, denen sich Heinrich, vor allem wegen des Erbes, verbunden und verpflichtet fühlt. „Ort unseres Besitzes“ bedeutet demnach so viel wie „unser väterliches Erbe“.

Die Frage an dieser Stelle, die zu beantworten wäre, lautet:

Wer waren die Vorfahren Heinrichs auf der Burg Abbach, wie weit zurück will er (bzw. wollen wir) diesen Begriff verstanden wissen?

Ich möchte, um Missverständnisse zu vermeiden, vorausschicken, dass ich nicht behaupten will, dass die Vorfahren persönlich selbst auf dieser Burg gelebt haben müssen. Die maßgebliche Pfalz der vorauslebenden Herzöge und Könige befand sich immer in Regensburg. Regierungssitz über das Herzogtum Bayern war nie Abbach, sondern Regensburg. Die Burg zu Abbach war wahrscheinlich Dependance, Sitz der Vögte, zeitweiliger Wohnsitz der Grafenfamilie oder der nachgeborenen Kinder, „Brotkorb“wegen der fruchtbaren Umlande, z. B. Weichs, befestigte Zuflucht.

Betrachten wir nun zunächst Kaiser Heinrich II. engeren Kreis seiner Vorfahren, und das sind nach gesicherten Quellen die sächsischen Herzöge in Bayern.

Als Bertold, ein Luitpoldinger, Bruder Herzog Arnulfs von Bayern (938-947) starb, schob König Otto I., der Große, dessen Sohn Heinrich, den eigentlichen Erben des Herzogtums, einfach zur Seite und übertrug das Herzogtum kurzerhand seinem eigenen Bruder Heinrich, der sich ab jetzt Heinrich I., Herzog in Bayern nannte (948 – 955).

Der Wechsel von den Luitpoldingern zu den Sachsenherzögen in Bayern war vollzogen.

Heinrich heiratete Judith, die Tochter Herzog Arnulfs von Bayern (Hz. 907 – 937) und so blieb die dynastische Linie zu den Karolingern wenigstens über das weibliche Erbgut erhalten. Die bayerischen Lande rebellierten lange Zeit gegen das sächsische Regiment, mussten sich aber schlussendlich beugen.

Der Nachfolger war Herzog Heinrich II., der Zänker ( 955-976 und 985-995). Er heiratete Gisela von Burgund (+ 1006), die ihm, wie den Abbachern bekannt ist, die Kinder Heinrich, Bruno, Gisela und Brigida schenkte. Sie werden in der Tradition von Burgau an der Mindel, betrachten wir es als Tatsache oder Legende, „Grafen von Abbach“ genannt. Durch diese Bezeichnung käme eine enge, dynastische, das Herrschergeschlecht bezeichnende Verbindung der Familie zur Burg und zum Sitz Abbach zum Ausdruck, wo immer sie sich in ihrem wirklichen Leben auch aufhielten.

Wegen fortgesetzter Rebellion gegen Kaiser Otto II. wurde Herzog Heinrich II. vorübergehend seiner Macht in Bayern enthoben (983-985), später aber wieder eingesetzt. Wegen der fortwährenden Differenzen mit Otto, erhielt er, obwohl ein durchaus frommer Mensch, den Beinamen „der Zänker“.

Der Vollkommenheit der Reihenfolge und der Zählweise der Heinriche entsprechend, muss erwähnt werden, dass in der Zeit der Versenkung Heinrich II. wegen Rebellion, der Sohn Heinrich des Luitpoldingers Berthold, Herzog wurde, den man Heinrich III. nannte.

Nach der Wiedereinsetzung des Zänkers in Macht und Würden war das Herzogtum wieder in sächsischen Händen. Auf den „Zänker“ folgte sein Sohn Heinrich IV. als Herzog von Bayern (995-1004 u. 1009-1018). Er heiratete Kunigunde von Lützelburg (+ 1033). Die Ehe blieb kinderlos.[3]

Damit hat sich der Kreis der engeren Familie Heinrichs II., des Gründers des Bistums Bamberg, der 1007 Abbach und mit ihm die „curia in wihse“ ( siehe Urkunde von 1224!) an die Benediktiner ebendort verschenkte, geschlossen.

Wollen wir aber den Kreis der Vorfahren weiten, um nach beliebter Manier auf Karl den Großen, den Repräsentanten Fränkischer Hausmacht über Bayern nach Ausschaltung Tassilos III, des letzten Agilolfingers, zu stoßen, dann müssen wir noch ein wenig bei dynastischen Überlegungen verweilen.

Das Heinrich-Buch Manfred Höfers scheint einer erweiterten Version zuzuneigen: „Wahrscheinlich kam die Burg Abbach durch die Heirat Herzog Heinrich I. von Bayern mit Judith, der Tochter Herzog Arnulfs von Bayern, in den Besitz des liudolfingischen Hauses. Möglich ist es aber auch, dass die Burg als ehemals bayerisches Herzogsgut mit der Belehnung Heinrichs I. von Bayern durch seinen Bruder Otto I. automatisch an den Herzog fiel. Da die Burg nahe der von den bayerischen Herzogen bevorzugten Stadt Regensburg liegt, gehörte auch Abbach zu ihren beliebten Aufenthaltsorten.“[4]

Bei größerem Rückgriff lag die Führung des Bayernstammes in der ältesten Zeit, etwa ab dem 7. Jahrhundert, beim Geschlecht der Agilolfinger. Das wissen wir aus der Lex Baiuvariorum. Über die Stammeszugehörigkeit der Agilolfinger fehlen jedoch sichere Angaben.[5]

Max Spindler, der Verfasser des grundlegenden Werkes „Handbuch der Bayerischen Geschichte“ vermutet, dass der erste genannte bayerische Herzog Garibald fränkischer oder burgundischer Abkunft gewesen sei.

„Merkwürdig bleibt“, konstatiert er, „dass in Bayern kein einziger Herrscher mit dem Namen Agilolf überliefert ist, dass aber ein Langobardenkönig so heißt, der aus thüringischem Stamm sein soll.“ Auch „eine Versippung der Agilolfinger mit dem schwäbischen Herrscherhaus, wenigstens seit dem achten Jahrhundert“, sei mit einiger Sicherheit nachgewiesen.[6]

War Ahabah zu dieser Zeit Agilolfingischer Besitz, dann änderten sich mit Karl dem Großen die Besitzverhältnisse. Aus Agilolfingischem Hausbesitz war fränkisches Königsgut geworden.

Ludwig der Deutsche, Abkömmling Karl des Großen, nannte sich selbst „König der Bayern“ und bezog ab 826 die Pfalz in Regensburg. Ab dieser Zeit waren auch für ihn ortsnahe Mittel zur Ernährungssicherung, wie sie u.a die Lande um Abbach bieten konnten, von großer Bedeutung.

Wie weit wir die Besitzerreihe, deren Erbe Heinrich war, fassen, so weit war Abbach, je nach herrschendem Regiment, Herzogsgut oder Königsgut Wir müssen uns jedoch hüten, aus diesen anspruchsvollen Titeln, die wir Heutigen vergeben, für die Abbacher einen gehobenen Lebensstandard und ein erlesenes Outfit zu folgern.

Die Bezeichnung Abbachs als „Ort unseres Besitzes“ könnte Heinrich in weitem Umgriff auf diese damals einige hundert Jahre währende genealogische Vergangenheit verstanden haben.

 

Ich stelle aber fest, dass diese Analyse eines Begriffes mit der Aussage Aventins, dass Herzog, König, Kaiser Heinrich in Abbach geboren sei, nichts zu tun hat.

[1] Bosl, Karl. Abbach als Zentralort königlicher und adeliger Herrschaftspolitik an der Donau im frühen und hohen Mittelalter. Heimatverein Bad Abbach, Heft 10/ 1984, S.3.

[2] MGH DD III, 146, HStA. Übersetzung von Alfons Kraus zum Jubiläumsjahr 2007.

[3] Vgl. Spindler, Max. Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd.1 Das Alte Bayern, Das Stammesherzogtum, C.H. Beck V., München 21981 S.669 (Stammtafeln).

[4] Höfer, Manfred. Kaiser Heinrich II. Bechtle Verlag Esslingen, München 2002, S. 19.

[5] Vgl. Spindler, Max. a.a.O. S. 136.

[6] a.a.O.S. 137f.

Von |2022-01-13T07:29:25+01:0013. Januar 2022|Lesebuch|0 Kommentare

155: Das Leben der Bauern in und um Abbach zur Zeit Heinrich II. (um 1000)

In Abbach unter dem Krummstab (St. Emmeram Regensburg/ Damenstift Niedermünster Regensburg/ Benedikiner in Bamberg / Benediktiner in Prüfening)), bis 1224 die Wittelsbacher den Ort usurbierten – Zeitgenössisches bäuerliches Leben.

In der Zeit um 1000 war die soziologische Struktur Ahabahs vorwiegend bäuerlich. Da gab es die großen Urbarshöfe Weichs, Gemling, Hofstetten, Gschwendt (siehe Freiheitslibell Ludwig des Bayern von 1335!) und die kirchen- und klöstereigenen Huben, die bis zu 90 % aller bäuerlichen Anwesen ausmachten, und eine Unzahl von dienenden, unfreien Knechten und Mägden neben einigen aufblühenden Handwerkern.

Außer dem Pfarrherrn, der nach St. Emmeram grundbar war, gab es nur weinige wirklich freie Bauern, wie z.B. die Herrschaft auf der Burg.

In der Schenkungsurkunde Heinrich II. von 1007 werden „Knechte und Mägde“ wie Liegenschaften an den Bischofsstuhl von Bamberg geschenkt. Im Text heißt es ausdrücklich: „(…) indem wir vorschreiben, dass der in Gott geliebte (…) Bischof Eberhard fürderhin die freie Gewalt habe, auch alle seine Nachfolger, jenen Ort Ahabah mit all seinen Zugehörungen zu halten, besitzen und wie es ihm gefällt auf jede Weise zum Nutzen des Bistums zu benennen.“

Die freie Gewalt bestimmte fürderhin wie sicher schon vorher den Status und das Leben der Bauern unter kirchlicher Grundherrschaft. Zwischen Freien und Abhängigen wurde in dieser Urkunde erst gar nicht unterschieden; Offenbar waren alle, die hier zu Lande auf den Höfen lebten und schufteten vor der Autorität des Königs, Bischofs oder Abtes Grundholden, Knechte und Mägde.

 

Mag sein, dass z.B. die beiden Weixer Bauern seit der Zeit der Wittelbacher (1224) als Mitglieder der Schranne privilegierter waren als die übrigen Bauern der Umgebung. Es könnte aber sein, dass auch sie weiterhin der Leibeigenschaft unterlagen, wie ich parallell zu ihnen bei fast gleichen Verhältnissen aus der eigenen frühen Familiengeschichte zu berichten weiß.[1]

Beschreiben wir zuerst den allgemeinen Befund bäuerlichen Lebens in dieser Zeit. Was wir hier anführen, galt mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch für die Bauern Abbachs und Umgebung, z. B. in Weichs. Ich halte mich bei meiner Darstellung im Wesentlichen an Werner Röseners Buch „Bauern in Mittelalter“.

War es Leibeigenschaft, die das Leben prägte, verstünden wir darunter

„denZustand der völligen persönlichen und wirtschaftlichen Unfreiheit (Knechtschaft).“ Sie äußerte sich immer in „der persönlichen Zugehörigkeit zu einem Grundherrn, in Mangel der Freizügigkeit und in der Verpflichtung zu zahlreichen Abgaben und Diensten (Fronden).“ So lautet die Definition im Großen Herder.[2]

Unterlag man noch dazu einer kirchlichen Grundherrschaft, kamen zur Schollenbindung verbindliche Lebens- und Verhaltensformen wie konservative Grundhaltung dazu[3]:

In den Tagebuchnotizen zur Landesausstellung der Hauses der Bayerischen Geschichte „Bauern in Bayern“ im Herbst 1992 im ehemaligen Herzogschloss in Straubing: „Landleben? Daß Gott erbarm!“, sehen wir ein Beispiel der Folgen von Fehlverhalten eines Abhängigen. Die Besucher konnten folgenden Auszug auf einer Plakatwand lesen:

„14. Januar 1063

Mit dem Jörg, Bauer in Gatterstall, ist es nun zu einem schmählichen Ende gekommen. Gemäß dem, was sie die Lex Baiuvariorun nennen, haben sie ihm, nur weil er am Sonntag mit dem Ochsengespann ausgefahren ist, den rechts gehenden Ochsen weggenommen. Hat aber bald darauf wieder knechtliche Arbeit am Sonntag verrichtet, weswegen sie ihn, nach mehrmaligem Verweis, mit 50 Rutenstreichen gezüchtigt haben. Ist wieder ein wenig später aus demselben Grund um ein Drittel seines Besitzes gekommen, und hat nun gar seine Freiheit verloren: Es werde, sagen sie, zum Knecht, wer am heiligen Tage nicht hat ein Freier sein wollen. Man muss sich vorsehen und keinem trauen.“[4]

Man soll damals geglaubt haben „Unter dem Krummstab ist gut leben.“ Mag sein, dass das Leben unter dem ethischen Anspruch der geistlichen Fürsten von Bamberg und ab 1138 (?) des Abtes von Prüfening um Abbach humaner als in freier Wildbahn war. Belastend blieb es jedoch auch fürderhin allemal.

Und lag Bamberg nicht in weiter Ferne? Mit Prüfening rückte der geistliche Fürst schon näher! Der jeweilige Grundherr war sicher immer durch seinen Meier oder Vogt allzeit präsent, und der Spruch „geh` nicht zu deinem Fürst, wenn du nicht gerufen wirst“ blieb ohne Bedeutung.

Rechte und Pflichten, Abgaben und Dienste der Untertanen an ihren Grundherrn waren genau festgelegt. In der Beschreibung der Klostergrundherrschaft von St. Emmeram, die in der Umgebung sehr ausgeprägt war, wird im Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2002 in Bamberg nach Salland (Herrenland) und von Bauern bewirtschaftete Hofstellen unterschieden. Geleitet wurden sie in der Regel von einem Meier, dem Vorsteher des Fronhofes. Er war für die Bewirtschaftung der Felder durch die abhängigen Bauern sowie die Erhebung der Abgaben aus den Hofstellen zuständig.

Die Abgaben waren überwiegend Naturalleistungen, nur der „Kopfzins“ wurde durchgehend als Geldabgabe entrichtet.[5] Unter Kopfzins verstand man die Abgaben der Zensualen, das waren Menschen, die sich selbst unter den Schutz der Kirche stellten oder ihr per Schenkung, wie es durch Heinrich II. geschah, übergeben wurden. Ihr Rechtstatus und ihre Besitzverhältnisse waren nicht einheitlich geregelt.[6] Die frühen Bauern von Weichs z.B. mögen Zensualen gewesen sein, was von ihrer besonderen Stellung zur Burg herrührte.

Die Grundbesitzungen des Königs, der Kirche und des Adels erstreckten sich zumeist in Streulage. Aus römischen Hinterlassenschaften, durch Okkupation, Rodung und Schenkung waren sie zu großen Landkomplexen zusammengewachsen.[7]

Ein Hauptkennzeichen des mittelalterlichen Bauerntums war die Hörigkeit. Die persönliche Unfreiheit, die auf eine frühere Zeit als die Grundherrschaft zurückgeht, stellt im Mittelalter keine feststehende Größe mehr dar, sondern hat eine Reihe von Wandlungen erfahren.[8] Jedoch, soweit größere Feudalherren mit genügend Machtmitteln ausgestattet waren, wählten sie auch den Weg des Zwanges, um Bauern an der Abwanderung zu hindern und die Einkünfte aus den Bauernstellen abzusichern. Das Spektrum derartiger Zwangsmaßnahmen reichte von Treueversprechen und Wegzugsgebühren, über Freizügigkeitsbeschränkungen zur faktischen Schollenbindung. Die Bauern mussten den Klosterherren versichern, dass sie sich nie der Hörigkeit entziehen, nicht in die Städte und auswärtige Orte abwandern, sondern stets im Bereich der jeweiligen Klosterherrschaft verbleiben würden.[9]

Die Grundherrschaft bedeutete jedoch nicht nur Unterwerfung, sondern sollte auch ein sittliches Wechselseitigkeitsverhältnis sein: Hier Dienst und Hilfe – dort Schutz und Schirm. Wie die Erfahrung zeigte, durfte man dies nicht zu idealistisch sehen. Oft bestand keine Schutzbeziehung, sondern ein Aneignungsverhältnis. In der agrarisch bestimmten Gesellschaft war die Grundherrschaft das ökonomische Fundament für diejenigen sozialen Gruppen, die Funktionen in Staat und Kirche ausübten.[10]

Das Sinnen der Bauern konnte bei den waltenden Umständen nicht auf Renditen aus dem Boden gerichtet sein: Ungefähr ein Drittel der kärglichen Ernten sicherte den Bedarf der Familie im weiteren Sinne; ein weiteres Drittel war als Saatgut für das nächste Jahr bestimmt. Den restlichen Teil, den der Meier auf jeden Fall zu sichern hatte, eignete sich die Grundherrschaft an.

Nach Rösener stellt sich die Zeit des 11. bis 13. Jahrhunderts unter dem Aspekt langfristiger Wirtschafsentwicklung als eine herausragende Aufschwungsphase dar (der dann im 14. und 15. Jahrhundert die spätmittelalterliche Periode der Stagnation und Depression folgte). Die hochmittelalterliche Expansionsphase ist geprägt von einem starken Bevölkerungswachstum, intensiver Rodungstätigkeit, umfangreicher Ausdehnung der Ackerbauflächen. Die Masse der Menschen verlangte nach Arbeit und Brot. Wo hätten sie damals sonst Verwendung gefunden, wenn nicht unter den Bauern? Bei ihnen war Arbeitskraft gefragt – aber auch billig.

Kommen wir nun zum konkreten Leben auf den Höfen dieser Zeit.

Wir interessieren uns zuerst für die Wohn- und Lebensverhältnisse der bäuerlichen Menschen im 12. und 13. Jahrhundert. Welches Leben führten die Bauern allenthalben? Ich halte mich wieder an den Kenner des bäuerlichen Lebens im Mittelalter, Werner Rösener.

Von der Vorstellung eines großen bäuerlichen Wohnhauses mit Krüppelwalmbedachung, Kreuz– und Tonnengewölbe im Parterre und überhaupt einem Bautenensemble von Haus, Stall, Scheune und Zusatzgebäuden, wie wir es heute um Abbach kennen, müssen wir uns zu aller erst trennen.

Auch von einem Herrenhaus, wie es der spätere Besitzer von Weichs z.B. , Josef Bauer, gestaltete, müssen wir uns verabschieden.[11] Er hat vermutlich nach einem Brand 1838 das Gebälk des früheren Wohnhauses für den Wiederaufbau verwendet. Die Inschrift in einem Balken des Dachstuhles könnte das vermuten lassen. Sie lautet: „Erbaut mit Gottes Hilfe von Josef Bauer im Jahre MDCCCVIII .“

Auf der Darstellung des Burgfriedens Abbachs des Jahres 1759 durch den Landschaftsgeometer Johann Baptist Ruef[12] fielen die beiden externen Weichser Bauernhäuser vergleichsweise noch sehr bescheiden aus.

Zwei Bauernhäuser in Weichs mit Markuskirche, nach einem Prospekt von Abbach des Jahres 1759/ Auszug

Bauernhäuser Weichs mit Markuskirche

In der früheren Zeit, um die es in diesem Kapitel geht, hatte das Bauernhaus nach Rösener 1 – 2 Räume; Herdfeuer ohne Rauchkanal, kein Schornstein, Lücke im Giebel! Daher keine Zwischendecke. Wenig Mobiliar. Nur notdürftig vom Herdfeuer erleuchtet. Oft lebte der Bauer mit seinem Vieh zusammen, Wohnstallhäuser eben. Manchmal gab es aber auch schon Mehrgebäudeanlagen. Landschaftsübliche Bauernhaustypen gab es noch nicht. Wenn nicht etwa römische Fundamente zu Grunde lagen, waren es Holzpfostenhäuser, die in 30 bis 50 Jahren erneuert werden mussten.

Im Hochmittelalter, das ist in etwa die Zeit, um die es hier geht, gab es die Ständerbauweise, Bauten auf Steinfundamenten. Auch da waren die Häuser noch leicht versetzbar. Wenn der Bauer umzog, was selten geschah, konnte er die Bauelemente mitnehmen. Darum zählten Wohnhäuser und Wirtschaftsbauten damals auch noch nicht zu den Immobilien. Besonders im Winter spielte die Stube eine große Rolle. Sie war ein heizbarer, aber rauchfreier Raum; für kalte Tage wird eine andauernde Wärme gehalten.

Über die Einrichtung in rauchfreien Stuben wissen wir nach dem obigen Autor nicht viel. Die Einrichtungsgegenstände sind spärlich und nicht viel wert: Gerüste zum Trocknen von Wäsche und Kleidern. Schlichte Bretter an den Wänden nehmen kleine Hausgeräte, Schüsseln und Krüge auf. An Holzpflöcken entlang den Wänden hängen Kleider und Werkzeug. Hauptmöbelstücke sind Tisch, Bänke und Schemel. Der Tisch ist sehr groß, dass die ganze Familie Platz hat. Es ist ein Schrägentisch. Kleider werden in Truhen und Kisten aufbewahrt. In der Wand befand sich ein primitives Schließfach.

Statt in Bettgestellen schlief man auf Bänken, Bettgerüsten, die mit Stroh(säcken) belegt waren. Manchmal hatte man nur eine Strohschütte in der Nähe des Feuers.

Noch zur Verpflegung: Auch hier halte ich mich an das zitierte und allgemein anerkannte Buch „Bauern im Mittelalter“.

Im Mittelalter, als es noch genug Weiden für das Vieh gab, wurde an Werk- und Festtagen hauptsächlich Fleisch gegessen. Als aber die Bevölkerung zahlenmäßig zunahm, musste die Weidenwirtschaft dem flächenintensiveren Getreideanbau weichen. Ab da herrschten Nahrungsmittel aus der Getreidewirtschaft vor.

Aus Hirse und Hafer wurde ein Brei zubereitet. Brot aß lange Zeit nur die adelige und geistliche Oberschicht. Das gewöhnliche Bauernvolk aß Brei unter Beigabe von Wasser, Milch, Salz, in einem Topf gekocht. Gerösteter Brei ergab das Fladenbrot. Für Brot wären Treibmittel nötig gewesen. Den Sauerteig hütete man erst später. Brot wurde aus Roggen und Dünkel gebacken. Hafer- und Gerstenbrot war nicht hoch eingeschätzt und nur von den Bauern verzehrt.

Mit dem Brotverzehr kamen auch die Backöfen. Er führte auch zum Ausbau des Mühlenwesens. Die Bauern mussten ihr Getreide oft in herrschaftlichen Mühlen mahlen lassen. War die hintere Mühle in Abbach damals eine solche Mühle?

Die Menschen damals aßen auch schon gekochtes Gemüse. Sie tranken Wasser und Molke. An Festtagen tranken sie auch Bier, Apfelsaft und Wein.

Die Bauern schätzten mehr das fette Schweinefleisch. Das Schwein wurde von allen Tieren am häufigsten gezüchtet. Auch Geflügel war geschätzt, Rindfleisch weniger, Pferdefleisch überhaupt nicht. Auch das Wild spielte eine Rolle.

Mit zunehmender Feudalwirtschaft entglitt den Bauern das Recht des freien Jagens, es wurde, wie der Fischfang, adeliges Vorrecht.

Viehbauern und Hirten hatten reichlich Butter und Käse. Mit Brot und Käse wurden die Gäste bewirtet. Gemüse und Obst aus dem eigenen Garten, frisch oder gedörrt, auch Hülsenfrüchte waren vorhanden: Bohnen, Linsen, Erbsen. Auch Rüben und Kohlarten spielten eine wichtige Rolle. Der Speisezettel wurde mit Möhren, Steckrüben, Brennnesseln, Sauerampfer, Beeren, Nüssen, Holzäpfeln und Holzbirnen ergänzt.

Man aß mit der Hand oder mit dem Holzlöffel aus der Gemeinschaftsschüssel. Das meiste Gerät war aus Holz. Seit dem 13. Jahrhundert hatte man Schüsseln und Krüge aus Ton. Später benützte man grünes Waldglas und Zinn.

Zu den Geräten berichte ich aus der genannten Quelle:

Nur durch die agrartechnische Revolution des Hochmittelalters konnte die stark anwachsende Bevölkerung ernährt werden. Es wurden allmählich tierische Zugkräfte eingesetzt: Das Rind, seltener das Pferd. Zum Mähen benutzte man bis in das Hochmittelalter ausschließlich die Sichel. Die Grassense war früher als die Getreidesense.

Im Hochmittelalter nahm bei den bäuerlichen Geräten das Eisen stark zu. Das brachte größere Haltbarkeit und Effektivität. Die Eigenschmiede war Bestandteil des Hofes.

Wie bereits erwähnt, deckte der Bauer in erster Linie seinen eigenen Grundbedarf an Nahrungsmitteln und Verbrauchsgütern und machte sich unabhängig von der Außenwelt. Nicht die hohen Profite standen im Mittelpunkt, sondern die Sicherung der familiären Subsistenz.[13] Den Rest galt es ja an den Grundherrn abzuliefern.

[1] Monumenta Episcopatus Wirziburgensis 1259 Mai 19; 1259 Juni 4; Urkunden zu St.Stephan in Würzburg 1267 S. 287; RB 3, 295, 1267; Würthenbergisches Urkundenbuch 3500, 1286.

 

[2] Der Große Herder Bd. 7 Sp. 831.

 

[3] Vgl. Rösener, Werner. Bauern im Mittelalter. Beck´sche Buchhandlung, München 1985, S. 21.

 

[4] Unterstöger, Hermann. Landleben? Daß Gott erbarm. Landesaustellung 1992 in Straubing. Süddeutsche Zeitung 4./5. 7. 1992.

 

[5] Vgl. Haus der Bayerischen Geschichte. Kaiser Heinrich II. , Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2002 in Bamberg, S. 150.

 

[6] Vgl. A.a.O. S. 151.

 

[7] Vgl. Rösener. a.a.O.S. 25.

 

[8] Vgl. a.a.O. 214f.

 

[9] Vgl. a.a.O. S. 268.

 

[10] Vgl. a.a.O. !

 

[11] Seidl-Schulz Katrin. A.a.O. S. 19.

 

[12] Kammer Rechnung 1759 S. 59. Archiv 9.6.2 und XVIII.2 .

 

[13] Vgl. Rösener, Werner. Bauern im Mittelalter. Beck´sche Buchhandlung. München 1985.

 

Von |2022-01-12T18:21:41+01:0012. Januar 2022|Lesebuch|0 Kommentare

156: Die Konsolidierung der Wittelsbachischen Hausmacht im Herzogtum Bayern nach 1180 – Weichs bei Abbach und sein Bezug zum Landgericht ( ab 1224 )

Mit Otto I. traten die Wittelsbacher die Herrschaft im Herzogtum Bayern an. Ihm folgte sein Sohn Ludwig I. Ein wesentlicher Faktor seiner Politik war ein stark ausgeprägtes Rechtssystem. In diesem Zusammenhang spielte die Installierung eines Landgerichts zu Abbach eine herausragende Rolle. Unser Heimatort erlangte eine weitausladende, überdimensionale Bedeutung.

Eine Urkunde, die Ludwig I., Herzog von Bayern mit Sitz in Landshut, wegen seiner Geburt und Ermordung in Kelheim „der Kelheimer“ genannt, am 13. Januar 1224 mit dem Prüfeninger Abt wechselte, bringt auch die Einöde Weichs zusammen mit der Burg in Abbach erstmals in die damaligen „Schlagzeilen“.

Der Text in gekürzter Form lautet:

Loudewicus, Palatinus Comes Rheni, et Dux Bawariae, pro castro Abbach, in fundo ecclesiae Pruvingensis extructo, et pro curte Wihse, monasterio confert praedium Chungeswisen et Mäting, juduicium in Pruvening, curtem in Neuröting et summi Capellani honorem[1]

(Zu deutsch: Ludwig, Pfalzgraf bei Rhein und Herzog in Bayern, bietet dem Kloster für die Burg Abbach, auf dem Boden der Kirche von Prüfening gebaut, und für den Amtshof in Weichs, Güter in Königswiesen und Matting, die Gerichtsbarkeit zu Prüfening, einen Amtshof in Neurötting und den Titel eines ersten herzoglichen Kaplans.)

Es ist uns nicht überliefert, wie die Weichser Bauern das Leben unter der klösterlichen Grundherrschaft empfunden hatten. Es liegen uns über diese Zeit keine Aufzeichnungen vor. Ich konnte in den Traditionen fast nichts entdecken, was auf Weichs bei Abbach zutraf. Wir wissen auch nicht, ob sie sich auf den Wechsel ihrer Zugehörigkeit vom Kloster Prüfening auf das Leben unter den Wittelsbachischen Herzögen langfristig einstellen konnten, oder ob sie von dieser Nachricht wie vom Blitz getroffen wurden. Es könnte ihnen auch egal gewesen sein.

Durch die Presse oder per Funk und Fernsehen waren sie sicher nicht – wie etwa heute – über die politischen Vorgänge vorinformiert, wenn sie sicher auch durch ihre Vögte, oder andere Gewährsleute, etwas von den Vorgängen, die sie betreffen könnten, läuten gehört hatten.

Wir dürfen den Rücktausch der Burg in Abbach zusammen mit der Curia in Weichs um Höfe in Matting und um Königswiesen auch nicht als singuläres Ereignis verstehen. Dieser Akt steht im Zusammenhang mit den politischen Intentionen der Wittelsbacher, die Hoheit im Donauraum und darüber hinaus in den Griff zu bekommen, das Land zur Einheit zusammenzuführen. Die politische Großwetterlage war von Unsicherheit geprägt. Den Wittelsbachern, mit denen man es, wie berichtet – ab 1180 zu tun hatte, kam der Umstand zu Hilfe, dass bis zum späten 13. Jahrhundert von den alten Grafengeschlechtern eines um das andere erlosch, darunter auch die von Bogen.[2]

Vermutlich hatten die Bayerischen Herzöge Otto und Ludwig schon vor 1224 Besitzungen in Abbach unter ihre Kontrolle gebracht, nachdem die Burggrafen von Regensburg zuvor die Zollrechte auf der Donau bei Abbach inne hatten, und die dortigen burggräflichen Befugnisse bereits 1205 an die Wittelsbacher übergegangen waren.[3]

Mit den Klöstern hatte Herzog Ludwig kein besonders schweres Spiel. Als Nachfolger der Grafengeschlechter, die er schon an sich gebracht hatte, kassierte er auch die Klostervogteien.[4]

Was jedoch für beständige Unsicherheit sorgte, war das frühkindliche Alter Ludwigs von erst 10 Jahren, als sein Vater Otto starb, und als seine Mutter Agnes, von Burg zu Burg reisend, erst um die Sympathien für ihren Sohn Ludwig werben musste.[5] Belastend war das unglückliche Verhältnis zu dem jungen König Heinrich, dem Sohn Kaiser Friedrichs II, verbunden mit endlosen Reibereien, ein Kirchenstreit zwischen Kaiser und Papst, bei dem der Herzog auf die päpstliche Seite neigte. Dieser ging 1230 zwar zu Ende, aber dies verhinderte nicht, dass Ludwig 1231 in Kelheim ermordet wurde.

Die Grafenherrschaften waren mit wenigen reichsunmittelbaren Ausnahmen zu Ende. „Der Fürstenstaat selber blieb die eigenste Schöpfung der Herzöge (selbstverständlich schon seit Otto von Wittelsbach, dessen einziger Sohn Ludwig I. war, A.d.V.); sie hatte das Land zur Einheit zusammengezwungen, hatten das Beamtentum (…) geschaffen. Was Wunder, wenn bei ihnen der Gedanke Wurzel schlug, dass diese ihre Schöpfung nun auch ihr ganz persönliches Eigentum wäre, und sich eine privatrechtliche Auffassung des Staates durchzusetzen begann.“[6]

Nicht lange nach dem bekannten Übergang von Weichs an die Wittelsbacher 1224 erscheinen die Weichser bereits im ersten (1229) und zweiten (1280) Herzogsurbar.

 

1229/37

Wiese ain taverne (offenbar Weichs 1, A.d.V.) div giltet zwaelf mvtte waitzen, und ain swin oder sehzic pfennige.

Von der vogetaie Wiese (offenbar Weichs 2, A.d.V.) git man sehzig scheffine frischinge.

Wihse zwaeine hove die geltent zwaelf mvtte waitzen, vier und fvnzig mvtte rocken, fvnf mvtte gersten, vierzig mvtte habern und ain halpgilt[7]

1280

Aber Weihs ein taver XII mutt waitz, I swin fver LX.

Aber Weichs ein hof XII mutt waitz, LIIII mutt Rokk., V mutt gersten, XL mutt habern, I halbgueltiges swein.

Aber ze Weichs von der chirchen ze vogtreht LX schaeffein frisching [8]

An anderer Stelle des 1. Herzogsurbars:

Weihs

Item Weihs taberna .., sita iuxta Haimelkhouen

Item Weihs curia

Item de aduocatia Weihs[9]

Die Begriffe Taverne und Kurie (Amtshof) sind geklärt wie der der Kirche.

Über den Begriff Aduocatia musste ich in das Lexikon des Mittelalters greifen. Dort heißt es unter dem Begriff „Vogtei“ allgemein: „ Den Begriffen „V“ und „Vogtei“ liegen lat. Advocatus, advocatia zugrunde. Sie bezeichnen eine breite Palette von Institutionen Gemeinsam ist den unterschiedl. Begriffsinhalten die Tatsache, dass Personen im Auftrag – oder zumindest formal beauftragt – Herrschaft ausübten, Verwaltung organisierten, Abgaben einzogen, Gericht hielten oder bei Prozessen die rechtliche Vertretung übernahmen. Die Beauftragung zur Stellvertretung war in ihrer Wirkung ambivalent. Sie konnte sowohl Herrschaft als auch Unterordnung begründen. Die Polyvalenz der Begriffe und die vielfältige Anwendbarkeit der zugrundeliegenden Tatbestände erschweren das Verständnis, verweisen aber zugleich auf Wesensmerkmale der mittelalterlichen Verfasssung, die Macht von Schutz ableitete und keine eindeutige Scheidung in „privat“ und „staatlich“ kannte. (…)“[10]

Auch das Lateinlexikon des Adam Friedrich Kirsch von 1774, das durch sein Alter dem „Sitz im Leben“ noch näher stand und besonders die Schutzfunktion zum Ausdruck bringt, könnten wir befragen: „Aduocatio (.) 1.)Beystand, Fürsprache. 2)Versammlung etlicher Freunde, vor Gerichte Beystand zu leisten. 3.) Fürsprecheramt. 4.) Rathschlag 5.) die Frist, die man sich ausbittet, um sich bey seinen Freunden wegen seines Prozesses Raths zu erholen.“ Ein Aduocator sei ein Armenbeschützer, ein Advocatus ein Freund, der uns bei unserem Prozesse mit seinem Rathe beysteht, und vor Gerichte durch seine Gegenwart zu erkennen gibt, dass er sich für uns interessierte, ein Fürsprecher der eines Wort redet, oder die Sache vor Gerichte treibet.“[11]

Daraus sieht man, dass sich auf Weichs 2 bereits 1229 und 1280 eine Instanz befand, die mit einer echten Gerichtsfunktion ausgestattet war, eine Stelle der ordentlichen Rechtspflege.

So wird diese Aufgabe im Abbacher Freiheitslibell Ludwig des Bayern 1335 zu Recht als

„ von altem Herkommen“ wieder aufgegriffen.

[12]

 

 

[1] Pölsterl, Günther. A.a.O. S. 76.

 

[2] Vgl. Hubensteiner, Benno. Bayerische Geschichte. Süddeutscher Verlag, München 1980, S. 92.

 

[3] Vgl. Pölsterl, Günther. A.a.O.S.76.

 

[4] A.a.O. S. 93..

 

[5] Spindler, Max. A.a.O.Bd. I, .S.16 .

 

[6] A.a.O. S.95.

 

[7] MB 36,1, 102. In: Pölsterl, Günther . A.a.O. S. 80.

 

[8] A.a.O.

 

[9] A.a.O.

 

[10] Schmidt, H. J.. In: Lexikon des Mittelalters 8, Sp.1811-1814

 

[11] Kirschius, Adamus Friedericus. Cornu Copiae Linquae Latinae, Leipzig 1774 , Sp. 74

 

[12] Freiheitlibell 1335

 

Von |2022-01-12T18:19:20+01:0012. Januar 2022|Lesebuch|0 Kommentare

157: Landvermessung und Erstellung von Katasterbüchern in Bayern – Ein Beitrag zur „Steuergerechtigkeit“

Die Diskussion um die Stabilität des Euro und die Verschuldung von Mitgliedstaaten der Eurozone wie Griechenland und Cypern, die das ursprünglich hoffnungsvolle Gefüge der Währungsunion zerstören könnte, veranlasst uns, darauf hinzuweisen, dass es in diesen Ländern an den Grundlagen für eine ordentliche Besteuerung fehlt. Dort leben Großgrundbesitzer, sogar Besitzer ganzer Inseln, die fremdenverkehrsmäßig mächtig aufblühen und keinen Cent Steuern an den Staat zahlen. Es fehlen Grundlagen für eine Besteuerung, Grundkataster mit Größenangaben, die den Staat in die Lage versetzen, Grundsteuern zu kassieren, die ihn lebendig erhielten.

In diesem Punkte liegt man dort so weit zurück wie unser Land vor 200 Jahren! Die kleinen Leute wie Arbeiter, Handwerker und Geschäftsleute tragen die Hauptlast. Die Besitzenden verschieben ihr fast mühelos erworbenes Geld aus dem Land in sog. Steueroasen. Die Solidargemeinschaft ist dann gefragt, den Betroffenen aus der Patsche zu helfen; die Verursacher setzen sich in das Ausland ab und lachen sich über den Schaden, den sie Zurückgelassen haben, Eines in das Fäustchen.. Steuerhinterziehung, eine Straftat gegen das eigene Volk, betrachten sie als Kavaliersdelikt.

Der Anfang der Grundsteuern bei uns

Bald nach der Säkularisation, etwa um 1810, mussten die Bauern hierzulande, die inzwischen Eigenbauern geworden waren, die Pflichtabgaben nicht mehr in Viktualien zahlen, sondern, wie auch in den Städten üblich, in Geld.

Um eine ordentliche und gerechte Besteuerung von Grund und Boden zu ermöglichen, musste man die wirkliche Größe der Besitzungen kennen. Zu diesem Zwecke musste das ganze Land vermessen werden, um möglichst gerecht verfahren zu können. Das Unterfangen erweckte zunächst heftigen Widerspruch der Besitzer, indem sie auf die alten Rechte der früheren Grundherren und den Mangel an Kenntnis über die wirklich eigenen Besitzungen verwiesen.

 

Aber das alles half nicht, es musste Klarheit geschaffen werden. Unter Herzog Max IV. Josef, später König Max I. Josef und Graf Montgelas wurde dieses schwierige Werk in Angriff genommen. Ab 1801 wurden die ersten Landvermessungen vorgenommen und in Mustermappen niedergelegt. Der Anfang war gemacht![1]

 

„Der erste Schritt in diese Richtung war die „Allerhöchste Verordnung vom 13. Mai 1808, das allgemeine Steuerprovisorium für die Provinz Bayern betr“ , mit welcher das Land in Steuerdistrikte eingeteilt wurde. Die Einteilung war von den Landrichtern u.a. unter Beiziehung der Obleute und einiger Deputierter aus den bisherigen Gemeinden vorzunehmen. In einer am gleichen Tage erlassenen Ausführungsbestimmung zur sog. Verordnung, in der „Instruktion zur Bildung der Steuerdistrikte“, wurde in § 1 auf das erwähnte Besteuerungsziel eindeutig verwiesen. Es heißt dort: „Jedes Landgericht ist zum Behufe der Steuer Rectification in Genmeindebezirke abzuteilen, welche Steuerdistrikte genannt werden.“[2]

Die in den Herzogsurbaren von 1229 und 1280 genannte Gilt für die Höfe in und um Abbach wurde durch eine ordentliche Haus- und Grundsteuer abgelöst. Immerhin war die Gilt fast 600 Jahre wirksam.

 

[1] Ab 1818 gab es die sog Urkataster.

Im Staatsarchiv in Landshut kann man den Urkataster von Abbach einsehen. Es sind auch bereits Fortschreibungsbücher vorhanden, die man dort anschauen kann. Auch das Vermessungsamt in Abensberg kann mit Auskünften über Liegenschaften aus fernen Zeiten Hilfe leisten.

 

[2] Wagner, Hans. Teugn. Vom königlichen Kammergut zur Gemeinde . Teugn 1990, S. 86.

 

Von |2022-01-12T18:18:25+01:0012. Januar 2022|Lesebuch|0 Kommentare

158: Abschied und Dank

Liebe Leserin des Online Lesebuches, lieber Leser,

ich melde mich heute zum letzten Mal zu Wort. Ich habe mit dem 1. Mai 2013 meinen Job als „Betreuer des Marktarchivs“ endgültig aufgegeben. Wann Sie jedoch immer Fragen zur Vergangenheit unseres Heimatortes Bad Abbach haben, versuchen Sie es mit dem neuen Heimatbuch, das ich hinterlasse. Im Online-Lesebuch finden Sie ein Stichwortverzeichnis, das Ihnen bei der Beantwortung Ihrer Fragen helfen kann. Wenn es sein muss, stehe ich Ihnen auch weiterhin persönlich zur Verfügung.

Nun danke ich Ihnen zum Schluss noch für Ihr Interesse am Lesen des Online- Lesenbuchs und der Druckausgabe des neuen Heimatbuches.

Im Besonderen danke ich Herrn Bruno Samulowski, einem Mitarbeiter der Kurverwaltung für seine kompetente, treue und freundliche Mitarbeit am Online-Lesebuch. Er war über die längste Zeit für das Layout zuständig und für die Online-Stellung. Ohne ihn wäre das Werk nur halb so schön geworden!

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit und mir noch ein paar geruhsame Jahre.

 

Ich halte es aber mit dem Grundsatz:

„Quid juvat argentum, quid annos vivere centum? Cum morimur, fumus, pulvis et umbra sumus.”

Das ist lateinisch und heißt „was nützte mir ein Haufen Geld, was nützte es mir, wenn ich 100 Jahre alt würde? Wenn wir sterben, sind wir Staub, Rauch und Asche!“

Von |2022-01-12T18:13:24+01:0012. Januar 2022|Lesebuch|0 Kommentare

159: Nachruf – Grenzstein im Burgbergareal 1224

Im Online Lesebuch Nr. 137 („Nachruf auf die Saugasse“) und im Heimatbuch „Bad Abbach – unser historisches, kulturelles und soziales Erbe“ von 2012 S. 107, Spalte 2, habe ich in der Annahme, dass es sich bei dem Quaderstein, der beim Bau der Maria Weigert Straße geborgen wurde, um einen Grenzstein handeln könnte, der beim Bau der neuen Burg in den 1220er Jahren und dem dazugehörigen Turm nach dem Schacher mit den Mönchen von Kloster Prüfening gesetzt wurde, um die Neusetzung in der Nähe seines ursprünglichen Standplatzes gebeten.

Nun wurde der Stein gewaschen und beim Rathaus gesetzt. Meine damalige Vermutung hat sich als zutreffend erwiesen.

Dies beweist das nun sichtbare eingemeißelte Wappenfries der frühen Wittelsbacher Herzöge und eine eingemeißelte Jahreszahl, von der wegen der Verwitterung in 800 Jahren nur mehr eine gotische 2 erhalten blieb. Die Photografie von Frau Gabi Hüber-Lutz vom 09.10.2014 in der MZ lässt dies klar erkennen.

Ich erinnere zum weiteren Beweis an den Wappenstein in der Stützmauer zum sog. Marchnerhaus im Apothekergassl. Dort finden Sie ein identisches Wappenfries in einen Stein gemeißelt. (Siehe mein Photo in meinem Buch S. 201!)

Ich nehme an, dass auch dieser Wappenstein von Herzog Ludwig I., nachdem er zu Abbach das Landgericht gegründet hat, an der Burgmauer gesetzt wurde, nachdem der Landrichter bis 1760 in der Burg residierte. In diesem besagten Jahr wurde für ihn ein neues Landrichterhaus am Friedelberg (heute Schulbruck) gebaut, nachdem der Sitz auf der Burg wegen deren Verfall nicht mehr zumutbar war.

Dieser Wittelsbacher Besitzstein wanderte vom alten Platz an der Burgmauer zum Nachweis des neuen Staatsärars an die Stützmauer des neuen Landgerichtsgebäudes. Der Stein stammt sichtbar aus der Gotig. Wäre er 1760 entstanden, wäre er in barockem Stil gefertigt.

Zur weiteren Erhellung der Historie bringe ich hier den Artikel von Frau Hüber-Lutz in MZ vom 09.10.2014:

MZ 09.10.2014

Ich habe um den Grenzstein herum gewissenhaft recherchiert. Dass es sich um einen historischen Grenzstein aus den 1220er Jahren handelt, halte ich aus folgenden deduktiven Gründen fest:

Benno Hubensteiner schreibt in seinem Buch „Bayerische Geschichte“, Jubiläumsausgabe 1980 S.85/86 zur Grafschaft von Bogen: „ Als Otto I. (…) starb, war sein Sohn Ludwig noch ein unmündiger Knabe, (…). Als Mann aber erwies er sich hart und klug, schloss 1204 die wohlüberlegte Heirat mit der böhmischen Ludmilla, der Witwe des letzten Bogeners, die ihm die große Donaugrafschaft zubrachte. (…)“.

Also war die Grafschaft Bogen 1204 bereits erloschen, und das Bogener Wappen konnte damit rechtmäßig bereits von Ludwig I. (gest. 1231) geführt werden.

Nach meiner Annahme stammt der Stein und das Wappen auf dem Stein von 1224 (siehe Urkunde!)

Dass das „Wappen“ nur von mir als solches gesehen werden könne, widerlegt die Photografie von Frau Hueber-Lutz (MZ) eindeutig.

Es handelt sich nicht um zufällige Bearbeitungsspuren, wie manche annehmen.

Ich stellte Vergleiche mit den Buckelquadern vom Hungerturmbau an. (Maße 30X60 und deutliches Abschlagen des Buckels). Die parallel abschüssig verlaufenden Linien als Symbol, die noch deutlich erkennbare gotische Ziffer 2, die Urkunde von 1224

(cublesprunne) bestärken mich in meiner Annahme.

Zusätzlich kennt keiner in (Bad) Abbach die Geschichte des Wege- und Straßenbaus nach Gemling, Köfering etc. bei dem der Stein am Wegerand verschüttet wurde, besser als ich.

Den Einbanddeckel von Hubensteins Buch ziert außerdem ein Siegel Ludwigs, das ihn auf einem galoppierenden Pferd zeigt, und wo er einen Schild mit den bayerischen (bognerischen) Rauten in Händen hält.

Von |2022-01-12T18:11:18+01:0012. Januar 2022|Lesebuch|0 Kommentare

160: Hitlers letztes Aufgebot: Der „Wehrwolf“ (April 1945)

In meinem Online-Lesebuch (Nr.86 „Sippenhaftung im Nazideutschland“) und in der Druckausgabe ( „Bad Abbach – unser historisches, kulturelles und soziales Erbe“ S. 425) berichtete ich, dass ich Ende März 1945 die Einberufung in ein Straflager in Vilsbiburg erhielt, der ich aber nicht folgte. Ich erwähnte auch, dass Pfarrer Alois Lehner es riskierte, mich im Pfarrhauskeller bis zum Eintreffen der Befreier von den Nazis zu verstecken.

Es blieb für mich immer, wie es schien, ein Geheimnis, was mit mir in Vilsbiburg hätte geschehen sollen, und was dort auf mich wartete. Nun trug es sich jedoch zu, dass ich gebeten wurde, am 09.06.2015 für den Altenclub im Pfarrsaal zu Bad Abbach als einer der noch lebenden Zeitzeugen der Kriegsereignisse in Bad Abbach vor 70 Jahren einen Vortrag zu halten, bei dem ich auch die oben erwähnte Geschichte erzählte. Die anwesende Redakteurin Bettina von Sass berichtete davon in der Monatsschrift „Bad Abbacher“ – 2015/ Juni („Der Pfarrer versteckte den Buben im Keller“ S. 3 u. 4. mit Photos von mir).

Dies lasen die Metzgermeisters Eheleute Josef und Inge Widemann aus BadAbbach, worauf sich Inge Widemann bei mir meldete und berichtete dass sie aus Vilsbiburg stamme, ungefähr mein Alter habe, und sich noch sehr gut an ihre Kindheitserlebnisse in ihrer Heimatstadt erinnern könne.

Sie war also endlich dazu in der Lage, meine etwa 60 Jahre alte, ungelöste Frage zu beantworten: Was wäre mit mir im April 1945 im Straflager in Vilsbiburg geschehen. Was hätte meine Strafe für einen Zweck gehabt? Inge Widemann erinnerte sich, dass Vilsbiburg wegen des damaligen Bürgermeisters Karl Köhler (1934 – 1945), eines Supernazis, dazu prädestiniert war, alle möglichen regimdienlichen Nazi Strukturen hervorzubringen.

Sie hatte sich auch eine Festschrift „Vilsbiburg, Streiflichter aus 60 Jahren Stadtgeschichte, 1989“ aufgehoben, aus der viel Erhellendes entnommen werden konnte. Aus den verschiedenen Beiträgen erfahren wir: Am 1. Mai 1934 habe Köhler es als üblen Missstand bezeichnet, dass die Vilsbiburger statt der Hakenkreuzfahnen die schwarz-weiß-roten und blau-weißen Fahnen und Tücher herausgehängt hätten. Der Missstand müsse unverzüglich abgeschafft werden. Unter ihm hätten sich 1933 / 34 eilig der „Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes“, die Hitlerjugend, das Jungvolk, der Bund deutscher Mädels, der SA-Reitersturm, die NS Frauenschaft, etc. entwickelt.

Der recht konservative „Vilsbiburger Anzeiger wurde sehr schnell gleichgeschaltet. Im April 1945 sollte dort im Alpenvorland die letzte Verteidigungsstellung errichtet werden. Vom 22. November 1940 bis 27. April 1945 war das Erdgeschoss und erste Obergeschoss des Kapuzinerklosters mit Hitlerjugend aus Hamburg und zeitweise aus Westfalen belegt. Die Kapuzinerpatres mussten in das notdürftig ausgebaute Dachgeschoss ausweichen. Der Klosterbau trug während dieser Zeit den Namen „Haus Richthofen“. Das Haus trug auch den Decknamen „KLV-Lager“ (Kinderlandverschickungslager).

Unter Karl Köhler wurde auch ein Reichsarbeitsdienst Lager errichtet und ein Haus für Ausbildungstruppen des deutschen Heeres. Am Schluss wurden im Handwerkerhospiz etwa 130 altersschwache und kranke Leute aus Norddeutschland untergebracht, von denen 50 in kurzer Zeit starben. Unter dem 11. April 1945 wird wörtlich berichtet: „Der Wehrwolf“ wird ausgerufen! Eine Partisanenbewegung soll entstehen. Waffen werden verteilt. Hier sollen einige sich zum „Wehrwolf“ gemeldet und Waffen erhalten haben.“

Zur Erklärung des Begriffes „Wehrwolf“: Es handelte sich neben dem „Volkssturm“, der aus Männern bestand, die wegen hohen Alters nicht mehr dienstpflichtig waren, um Kinder und Jugendliche, die wegen ihres jungen Alters noch nicht dienstpflichtig waren. Wie ich mich erinnere, handelte es sich um männliche Kinder ab 12 Jahren. Hätte mir so etwas geblüht? Am 27. April 1945 wurde im Haus Richthofen gepackt. Die Jungs wurden nicht nach Hause entlassen, sondern in die umliegenden Dörfer geschickt.

Von |2022-01-12T18:08:58+01:0012. Januar 2022|Lesebuch|0 Kommentare
Nach oben