In meinem Online-Lesebuch (Nr.86 „Sippenhaftung im Nazideutschland“) und in der Druckausgabe ( „Bad Abbach – unser historisches, kulturelles und soziales Erbe“ S. 425) berichtete ich, dass ich Ende März 1945 die Einberufung in ein Straflager in Vilsbiburg erhielt, der ich aber nicht folgte. Ich erwähnte auch, dass Pfarrer Alois Lehner es riskierte, mich im Pfarrhauskeller bis zum Eintreffen der Befreier von den Nazis zu verstecken.

Es blieb für mich immer, wie es schien, ein Geheimnis, was mit mir in Vilsbiburg hätte geschehen sollen, und was dort auf mich wartete. Nun trug es sich jedoch zu, dass ich gebeten wurde, am 09.06.2015 für den Altenclub im Pfarrsaal zu Bad Abbach als einer der noch lebenden Zeitzeugen der Kriegsereignisse in Bad Abbach vor 70 Jahren einen Vortrag zu halten, bei dem ich auch die oben erwähnte Geschichte erzählte. Die anwesende Redakteurin Bettina von Sass berichtete davon in der Monatsschrift „Bad Abbacher“ – 2015/ Juni („Der Pfarrer versteckte den Buben im Keller“ S. 3 u. 4. mit Photos von mir).

Dies lasen die Metzgermeisters Eheleute Josef und Inge Widemann aus BadAbbach, worauf sich Inge Widemann bei mir meldete und berichtete dass sie aus Vilsbiburg stamme, ungefähr mein Alter habe, und sich noch sehr gut an ihre Kindheitserlebnisse in ihrer Heimatstadt erinnern könne.

Sie war also endlich dazu in der Lage, meine etwa 60 Jahre alte, ungelöste Frage zu beantworten: Was wäre mit mir im April 1945 im Straflager in Vilsbiburg geschehen. Was hätte meine Strafe für einen Zweck gehabt? Inge Widemann erinnerte sich, dass Vilsbiburg wegen des damaligen Bürgermeisters Karl Köhler (1934 – 1945), eines Supernazis, dazu prädestiniert war, alle möglichen regimdienlichen Nazi Strukturen hervorzubringen.

Sie hatte sich auch eine Festschrift „Vilsbiburg, Streiflichter aus 60 Jahren Stadtgeschichte, 1989“ aufgehoben, aus der viel Erhellendes entnommen werden konnte. Aus den verschiedenen Beiträgen erfahren wir: Am 1. Mai 1934 habe Köhler es als üblen Missstand bezeichnet, dass die Vilsbiburger statt der Hakenkreuzfahnen die schwarz-weiß-roten und blau-weißen Fahnen und Tücher herausgehängt hätten. Der Missstand müsse unverzüglich abgeschafft werden. Unter ihm hätten sich 1933 / 34 eilig der „Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes“, die Hitlerjugend, das Jungvolk, der Bund deutscher Mädels, der SA-Reitersturm, die NS Frauenschaft, etc. entwickelt.

Der recht konservative „Vilsbiburger Anzeiger wurde sehr schnell gleichgeschaltet. Im April 1945 sollte dort im Alpenvorland die letzte Verteidigungsstellung errichtet werden. Vom 22. November 1940 bis 27. April 1945 war das Erdgeschoss und erste Obergeschoss des Kapuzinerklosters mit Hitlerjugend aus Hamburg und zeitweise aus Westfalen belegt. Die Kapuzinerpatres mussten in das notdürftig ausgebaute Dachgeschoss ausweichen. Der Klosterbau trug während dieser Zeit den Namen „Haus Richthofen“. Das Haus trug auch den Decknamen „KLV-Lager“ (Kinderlandverschickungslager).

Unter Karl Köhler wurde auch ein Reichsarbeitsdienst Lager errichtet und ein Haus für Ausbildungstruppen des deutschen Heeres. Am Schluss wurden im Handwerkerhospiz etwa 130 altersschwache und kranke Leute aus Norddeutschland untergebracht, von denen 50 in kurzer Zeit starben. Unter dem 11. April 1945 wird wörtlich berichtet: „Der Wehrwolf“ wird ausgerufen! Eine Partisanenbewegung soll entstehen. Waffen werden verteilt. Hier sollen einige sich zum „Wehrwolf“ gemeldet und Waffen erhalten haben.“

Zur Erklärung des Begriffes „Wehrwolf“: Es handelte sich neben dem „Volkssturm“, der aus Männern bestand, die wegen hohen Alters nicht mehr dienstpflichtig waren, um Kinder und Jugendliche, die wegen ihres jungen Alters noch nicht dienstpflichtig waren. Wie ich mich erinnere, handelte es sich um männliche Kinder ab 12 Jahren. Hätte mir so etwas geblüht? Am 27. April 1945 wurde im Haus Richthofen gepackt. Die Jungs wurden nicht nach Hause entlassen, sondern in die umliegenden Dörfer geschickt.