Ich schicke voraus, dass ich die jeweilige Pfarrgemeinde, in der ich lebte oder wirkte, in sehr intensiver Weise als meine Familie im weiteren Sinne betrachtete.
Darum denke ich hier vor allem an meine Erfahrungen mit der Kirche, die einen wesentlichen Anteil meiner Lebens- und Berufsgeschichte ausmachen:
Indem ich über mein Leben nachdenke, seine vielfältigen Komponenten sichte und diese nach ihrer prägenden Kraft werte, entdecke ich mehr und mehr, dass mein Wachsen und Werden aus der mir vertrauten Kirche, mein Stehen in ihr und zu ihr nicht die frohen und heiteren Saiten in mir zum Klingen brachte, sondern die Neigung zu Lebensernst und Besorgtheit, Angst und Zweifel, Enttäuschung und Resignation, Rebellion und Konfrontation begünstigte.

Die Lust am Leben fand und schöpfte ich anderswo.
Mit den Jahren begegnete ich vielen Menschen, die wie ich in ihrem Vertrauen zur Kirche erschüttert sind. In der Hoffnung, dort dem Evangelium, der guten und frohen Botschaft von Glück und Heil, Gemeinschaft und Geborgenheit nahe zu sein, sind wir in vieler Hinsicht enttäuscht worden. Das Schweigen über die eigene und fremde Not, über die Verzerrung und Verdunkelung des Gottesbildes, die Beschädigung der Kirche, die sie sich selbst zufügt, hatte ich als schrittweises Schuldigwerden vor Gott und gegenüber der Kirche selbst wie vor ihren Opfern empfunden.
Dies ist die Antwort auf die Frage nach den Motiven meines publizistischen Eifers.
Ich bekenne also hier nicht aus Geltungsbedürfnis das Scheitern meines ursprünglichen Lebensentwurfs, Priester zu sein, und nicht aus Sehnsucht nach Rehabilitation; ich kehre nicht aus neurotischem Sendungsbewusstsein allzu Persönliches nach außen, sondern weil es Dinge gibt, die nur durch Preisgabe von Persönlichem erhellt werden können.
Zu diesen Dingen gehört das Tabu des vielfältigen Angefochtenseins, vor allem das Misslingen der zölibatären Lebensform von Priestern und Ordensleuten hinter der Fassade von Sieg und Heroismus. Auch nicht die späte Rückkehr in das herkömmlich strukturierte priesterliche Amt steht in meiner Absicht. Wenn ich auch zu meinem „Adsum“ immer stand und stehe, könnte ich sowieso nur mehr aus dem existentiellen Fundus meines bürgerlichen Berufes einer Gemeinde dienen, in der mich jeder, der guten Willens ist und den Geist besitzt, in seiner Muttersprache reden hört (Apg 2,5-13).
Nach meinem Ausscheiden(müssen) aus dem priesterlichen Amt und kirchlichen Dienst aus dem Grunde des nichtbewältigten Zölibats im Jahre 1969 überließ ich mich zunächst einer ohnmächtigen Resignation. Aus dem falschverstandenen Bedürfnis, mich verteidigen zu müssen, reagierte ich oft unreflektiert und aggressiv. Erst mit der Rückgewinnung sozialer Sicherheit im neuen Beruf als Lehrer und dem Entstehen einer harmonischen familiären Gemeinschaft und Atmosphäre, mit dem Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit vollzog sich die Befriedung meiner selbst.
Gleichzeitig stellte sich aber auch eine starke Reserviertheit gegenüber den Vorgängen in der institutionalisierten Kirche ein und ich überhörte absichtlich ihre Botschaften an die Zeit, ganz nach dem Motto: am besten alles ausklammern, was erneut für Unruhe sorgt und ohnehin vielfach an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigeht.
Aber ein denkender Mensch und ein von Jesus, dem Menschensohn angesprochener und getroffener Christ kann die Augen vor dem Leben nicht verschließen. Das komplexe Leben ist notwendig religiös und spirituell. Mit dieser Erkenntnis bin ich wieder dort angelangt, wovon ich mich einmal zu verabschieden wünschte.
Jetzt ist auch die Einsicht gereift, dass nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der traditionellen Ordnung und Verfasstheit Jesu Kirche von unten und im Kleinen existiert, der ich den priesterlichen Dienst, erwachsen aus der Taufe (Häbräerbrief) und dem besonderen Charisma ( 1 Kor 12,2-11), schuldig bin.
Darum ergriff ich in der Vergangenheit mehr und mehr in Wort und Schrift Partei gegen kirchenamtliche Willkür und Unbarmherzigkeit, Ideologiebesessenheit und Abfall vom biblisch begründeten Glauben.
Es ging mir nicht darum, mein eigenes Unvermögen zum Maß der Menschlichkeit und des rechten Glaubens aufzurichten, indem ich den Dogmatismus und Absolutheitsanspruch auf der anderen Seite bekämpfte. Ich fand es besser, meine Erkenntnis an dem Glauben, dem Wissen und Erleben, den Überzeugungen und dem Gewissen anderer Menschen und Gemeinschaften, Konfessionen, ja Religionen zu messen.
Was mich betrifft, gelang mir das nicht im Ghetto! Dazu musste ich mich aufschließen und Kontakte knüpfen. Dieses Bedürfnis öffnete mir den Blick nach vorne und in die Weite, aber auch zurück auf die Welt, aus der ich komme und lebe.
Aus dieser Schau verstehe ich mich selbst besser als früher und bringe der einst unbegreiflichen Eigenart systemverhafteter und fundamentalistischer Geister größeres Verständnis entgegen. Denn ich frage mich heute auch noch, wieweit ich selbst jenem Kastendenken verhaftet war, dass Christus mich zur Teilhabe an einem hierarchischem Priesteramt berufen habe.
Seit meinem Umbruch, den die neuen Lebensumstände forderten, stellte ich oft an mich die Frage nach den eigentlichen, vielleicht uneingestandenen Motiven für die Wahl des Priesterberufes. Wie konnte ich so vertrauensselig sein, mich total dieser Kirche auszuliefern, die eigentlich schon auf den ersten kritischen Blick hin mit dem menschgewordenen Christus so wenig Beglückendes gemeinsam hat?
War es die Faszination des Kultes, das Streben nach sozialem Aufstieg, die Erfahrung der eigenen und fremden Erlösungsbedürftigkeit, der politische und Gesellschafts revelante Einfluss der Kirche und des Klerus, die eigene Eitelkeit, die Sehnsucht, auf dem Podest zu stehen, auf dem die Heiligen, Heroen und Sieger stehen? Oder war ich zuletzt nur zu feige, mich dem starken Erwartungsdruck der Familie, der Umgebung, ja der ganzen Gemeinde zu entziehen?
Wann und zu welchem Zeitpunkt beging ich den verhängnisvollen Fehler, einen früheren Zukunftsplan aufzugeben? klagte ich mich manchmal an. Ich hatte einmal von einem Leben mit Frau und Kind, mit Haus und Hund und vielen schönen Dingen in einem handwerklichen Beruf und Geschäft geträumt. Es war in der Zeit, bevor ich als Spätberufener periodenweise Gott innig um ein hübsches, liebes, gescheites reiches weibliches Wesen bat, das alle Vollkommenheit in sich birgt.
Heute weiß ich, dass es müßig wäre, über den Zeitpunkt meiner „Berufung“ in der Phase meines selbstbewussten Lebens nachzudenken, weil sie im Wesentlichen schon zur Zeit meiner Geburt oder in meiner frühen Kindheit grundgelegt war. Es war nicht der Umstand, dass mich Gott von Ewigkeit her als Priester in seine Hand geschrieben hatte, wie ich den Vorgang romantisierend oft nannte. Neben einer tiefverwurzelten, unreflektierten, ererbten Religiosität war die ontische Unsicherheit meiner Vorfahren und folglich meiner selbst der Grund, dass ich mich an ein kirchliches Amt binden wollte, um von dort her meine Daseinsberechtigung und Bestätigung zu erfahren.
Mit diesem Streben korrespondierte gezwungenermaßen neben der angestammten sozialen Depression das Ideal der verlangten Keuschheit. Für dieses Ziel musste und wollte ich erst tauglich werden. Wie aber war es dann – wie es so bezeichnet wird – ein Charisma, wenn ich dazu erst tauglich werden musste?
Der Mensch erkennt sich selbst am wenigsten. Dazu bedarf er der Hilfe und Führung anderer Menschen. Meinen Erziehern war meine Selbstfindung und Selbstverwirklichung kein Anliegen. Sie waren bei ihrem Versagen nicht von böser Absicht geleitet, sondern von der eigenen Unfähigkeit und dem Wunsch, mich nach herkömmlicher Art angemessen zu formen. Ihr Ziel war es, ein idealistisches, altteatamentarisches Priesterbild in mir aufzubauen, dem sie für den eigenen Bereich gläubig huldigten.
Am Altare angelangt, ließ ich die hehre Majestät des „Königsadlers“ zwar vermissen, aber irgendwie fühlte ich mich doch von den Niederungen des gewöhnlichen Gottesvolkes abgehoben.
„Gott, wie danke ich dir“, schrieb ich einige Tage vor der Priesterweihe in mein Tagebuch, „dass du mich zu deinem Priestertum berufen hast!. Heute spüre ich dieses Glück ganz tief. Dein Priester darf ich sein… Jetzt spricht Gottes Geist in mir… Gib mir, Herr, Eifer und Mut! Lass die Glut auch auf andere überspringen!“ –
Dieser Text lässt erkennen, dass ich mich aus den Menschen auserwählt und über sie erhoben fühlte. Gott selbst war es, der mich rief, die Hand an den Pflug zu legen. Gläubige Naivität und starke Autosuggestion ließ mich an entscheidenden Punkten Gottes wortwörtlichen Ruf vernehmen: “Komm und folge mir nach!“ Im Gelingen oder Misslingen von Zielen erkannte ich ein Gottesurteil, und sehnsüchtig suchte ich die farbigen Steinchen zusammen, die das Mosaik ergaben, das ich für Gottes Willen hielt.
Warum und zu welchem Zwecke richtete ich damals bloß an mich die ständig bohrende Frage: „Bist du zum Priestertum berufen?“ Wie ungewöhnlich groß und stark muss die Eignung und Neigung zu einem Beruf sein, der Gott ganz nahe steht? ? – War es wirklich die Brauchbarkeit für den Dienst, der künftig zu leisten war, die immer auf dem Prüfstand des Gewissens stand? – Nein, sie war es nicht, wie sich erwies. Die Fixierung auf die Forderung der Ehelosigkeit ließ wichtigere Aspekte in den Hintergrund treten: die geistige und soziale Reife, die psychische Stabilität, die reiche Spiritualität, das erforderliche Wissen und kritische Gewissen.
Und weil ich den Zölibat nie ganz verstand und liebte, wurde mir im Junktim der ganze Beruf, zu dem ich sicher geeignet und befähigt war, mehr und mehr zur Last und zum Problem, die mich erdrücken mussten. Ein Priester, der nachträglich die Spreu vom Weizen scheidet, kommt in Bedrängnis. Ein System, das ihn in seiner Person vereinnahmt, neigt dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Warum entließen sie mich und fanden sie für mich gar keine Verwendung mehr? War ich meinen Vorgesetzten denn nicht als Aktivist und loyale Marionette aufgefallen? Es musste wohl so gewesen sein, da sie doch meine Leistungen mit Sympathie quittierten.
Zugegeben, es schmeichelte meiner Eitelkeit, dass mir immer neue Ämter und Aufgaben übertragen wurden. Kirche und Gesellschaft geizten nicht mit Lob und Anerkennung. Für das „Reich Gottes“ war ich auch zu jedem Opfer bereit, und sollte ich selbst das Opfer werden müssen.
Anima hostia – meine Seele sei meine Opfergabe! Hatte sich nicht auch Jesus am Kreuz selbst dahingegeben? – Es war mein Verhängnis, dass ich bei diesem Opfergang innerlich verarmte und dass die alte Glut erlosch. Wer ständig ausgibt, der verausgabt sich. Es gibt eine Müdigkeit, die der Verstand und das Gewissen nicht mehr registrieren. In dieser Not und Leere sucht man dann nach neuen, anderen Inhalten und Werten, nachdem die alten verblassten und ihre Tragfähigkeit verloren.
Trotz meines Aktionismus und der extremen Betriebsamkeit, des ständigen Umgangs und Kontaktes mit Menschen fühlte ich mich einsam. Es gab in den fremden Häusern ausreichend Gelegenheit, das Glück anderer zu erleben. Oftmals regten sich in mir Neidgefühle, wenn ich den unbeschwerten Umgang von Jungen und Mädchen, der mir selbst immer verboten war, beobachtete.
Ich hielt es inzwischen schon für das größte Glück der Welt, wie sie sich ungeniert verliebten und zu einem Paar vereinigen durften. In der Kirche assistierte ich oft ihrer Eheschließung und sprach über sie den Segen. Ich konnte mich im Geist und mit meiner Phantasie gut in den Part des Bräutigams versetzen, aber letztlich fand ich mich immer auf die Rolle eines Kindes verwiesen, das sich am Schaufenster die Nase plattdrückt und die ersehnte Puppe in der Auslage nicht bekommt. Ich sah mich für den Rest meines Lebens von dieser Erfüllung ausgeschlossen. Zwar verkehrte ich täglich mit Frauen und Mädchen, aber sie gehörten anderen. In deren Bereich hatte ich nichts verloren. Meine Einsamkeit war für mich sehr schwer zu ertragen. Sie war wie ein Sog, für jede Lösung bereit. In diese Leere traf der Blick oder das verstehende Wort einer jungen Frau wie Öl auf eine Wunde Schon allein die Anwesenheit oder erst recht das Mitgefühl eines Mädchens bedeutet einen Trost, zu dem nichts und niemand geeigneter ist als sie.
In meiner Pfarrjugendführerin fand ich zunächst eine verständige und einfühlsame Mitarbeiterin. Von Liebschaft bestand lange Zeit , wie Gott weiß, keine Spur. Wenn aber ein vitaler Mann und eine liebesfähige Frau sich ständig begegnen, bleibt es nicht aus, dass eine Spannung zwischen den Polen entsteht. – Wir kennen die Gesetze der Physik und die Kräfte der Natur, die für diesen Fall wirksam sind. Der Verweis auf die Steuerungskraft des Verstandes und des Willens bleibt lebensfremde Illusion, wenn bestimmte Umstände und Faktoren zusammenwirken. Wir beide verschlossen zuerst die Augen vor diesem Phänomen, waren aber wehrlos, als wir uns unsere Liebe eingestehen mussten.
Von der „mütterlichen Kirche“, die ausschließlich auf Männern gründet, die pflicht- und traditionsgemäß der Erotik und der Sexualität abgeschworen haben, war keine Rettung zu erwarten. Von Amtsbrüdern, die sich Seelsorger nennen, erhielt ich auf meine Fragen keine Antwort, da ich sie an sie erst gar nicht zu richten wagte. Es hatte sich erwiesen, dass sie nicht hinreichend vertrauenswürdig sind. Invidia clericalis! Der Neid, auch Sexualneid von zölibatären Priestern treibt sonderbare Blüten. Der Bischof, der sich selbstgefällig „Vater“ nannte, war diesem Anspruch nicht gewachsen. Er hatte in seinen mystischen Reflexionen keinen Platz für Trivialitäten und Eventualitäten des Lebens. Paradiesvögel standen seinem Sinn näher als Dornenvögel.
Mehr und mehr schwand mein Glaube, dass ich mich an schwachen und mittelmäßigen Menschen in den Reihen der Geistlichkeit würde aufrichten können. Gott aber stand unserer Sehnsucht und meinem Verlangen nicht im Wege, da er die Quelle der Liebe und des Lebens ist. Wer hat die Liebe, die die Liebe nicht verletzt, zur Todsünde entwürdigt?
Unter dem Vorwand, dass ich alt genug sei, aus meiner eigenen Schüssel die Suppe zu löffeln, und meinen bedürftigen Eltern beistehen müsste, schickte ich mich an, an einem anderen Dienstort einen eigenen Hausstand zu gründen. In der trügerischen Hoffnung, dass der Priester in mir trotz seiner Schwäche und Anfälligkeit für weibliche Reize immer noch stärker sei als der Mann, dass Gott alles gibt, worum man ihn inständig bittet, obwohl ich ihn doch in dieser Richtung um gar nichts ehrlich bat, überredete ich die von mir Verehrte, trotz ihrer blühenden Jugend mit mir zu ziehen und zu wohnen, zu leben und zu arbeiten, mochten andere denken und sagen, was sie wollten.
An diesem Punkte begann für uns beide eine beglückende, aber auch tragische Zeit. Wir konnten unsere Zuneigung und Liebe nur eine kurze Zeit bis zu Gott sublimieren. Der Rest ist schnell gesagt: Wir sahen keinen Sinn mehr in gespielter Distanz und im aufreibendem Kampf gegen einander. So verstanden wir uns schließlich auf das Miteinander . Aber Angst vor Entdeckung, Furcht vor den Folgen der Liebe und der drohende Sturz in das Nichts waren unsere ständigen Begleiter.
Es war die Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil. Die Enzyklika „Sacerdotalis caelibatus“ ( vom 23.6.1967) gab es noch nicht. In aller Welt glaubten die Menschen und hofften die Kleriker der Lateinischen Kirche, die Tage des unseligen Zölibatsgesetzes seien gezählt. Wir beide, promesssi sposi.- wir hatten uns das Treuwort bis zum Lebensende gegeben – wähnten in unserer Not den Tag unserer Erlösung nahe, an dem wir unsere Beziehung ordnen wollten.
Aber so nahe war dieser Tag wiederum nicht. Wir konnten einem Scherbengericht des Neids und der klerikalen Missgunst nicht entrinnen. Ich wurde zwar auf eigenen Wunsch auf einen anderen Posten befördert, aber nach dem Motto „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ blieb ich doch immer als unsicherer Kantonist verdächtig. Nach kurzer Zeit blies die vereinigte Jagdgesellschaft zum letzten Halali und setzte zum Blattschuss an. Der unwürdigen Treibjagd müde räumten wir beide freiwillig, aber schweren Herzens das geliebte Betätigungsfeld. Zurück bleiben nur Scheidungswaisen: Eine Gemeinde ohne Priester und ein arbeitswilliger Pfarrer ohne Gemeinde. Das Gesetz und ein paar uneinsichtige Eiferer waren die vermeintlichen Sieger. Sie wurden für ihre Leistung hoch dekoriert, uns aber schlossen sie aus ihrer Gemeinschaft aus und verwiesen uns in das Tal der Aussätzigen, wo sie sich vor unserem unreinen Schatten sicher fühlen konnten.
Die „casta ecclesia“ – die „keusche Kirche“ – tut sich schwer , mit „Sündern“ umzugehen. Es gibt genug Belege, dass sie die Sünde und den Sünder, die sie selbst hervorbringt, im Namen des gerechten Gottes brandmarkt und eliminiert.
Die Wahrheit geht ans Licht. Die Verblendung wünscht kein Licht. Es ist schmerzlich anzusehen, wie unbarmherzig ein irregeleiteter Glaube die Menschen machen kann. Aus ihm kommen diese Werke: Hinterhältigkeit, Sippenhaft für Kinder und Verwandte, Beeinträchtigung des persönlichen und familiären Glücks, Verleumdung beim Arbeitgeber und bei Ämtern, Attacken aller Art aus dem Hinterhalt, Verweigerung der Kommunikation und Kommunion, Exkommunikation, Entzug der Missio, kirchliche Trauung unter Ausschluss von Zeugen und der Öffentlichkeit, Brot unter dem Titel der Barmherzigkeit, nicht der Gerechtigkeit, Entzug der Existenzgrundlage unter Berufung auf Tendenzschutz. Die Liste könnte fortgesetzt werden.
Es ist müßig, im Detail zu schildern, was sich im einzelnen hinter den Begriffen verbirgt. Wir wollen vergessen, was uns an Leid über zwanzig Jahre widerfuhr. Es war ein Glück für unseren Glauben, dass wir beten konnten: „ Gott, du bist ganz anders als sie!“ Unsere Liebe trug und beflügelte uns, nach vorne zu blicken. Es war befreiend und beglückend zugleich, wahrhaftig sein zu können.
Auch nach dem Ausschluss aus dem Klerus und bar seines standesüblichen Schutzes in der Gesellschaft glaubte ich an meine Berufung und Sendung. Für meine Familie vertraute ich der Zusage Jesu: “Siehe ich bin bei euch alle Tage..“ Der Tröster aber ist der Geist, und er weht, wo er will. Mit seiner Hilfe nahm ich unser Los in feste Hände. Mit Fleiß und Zielstrebigkeit baute ich mir als Lehrer eine neue Existenz auf, weil Unterrichten und Lehren mein Charisma ist. Auch die natürlichen Grundlagen für das Wohl und die Sicherheit meiner Familie konnte ich sichern, ein Haus und einen Garten in der freien Natur.
Aus dieser sicheren Basis wirkte ich siebenundzwanzig Jahre lang für die mir anvertrauten Kinder in der Schule. Hartnäckig insistierte ich auf der Rückgabe der entzogenen Missio, der Erlaubnis zur Erteilung von Religionsunterricht für Grundschüler bis hin zu Schülern des Gymnasiums. Ich leitete eine große Schule, und ein ganzes Jahrzehnt lang habe ich Studenten in die Praxis des Lehramts eingeführt. Zuletzt bildete ich auch Religionspädagogen aus und war dann auch an einer Universität zum Prüfer in Theologie und Religionspädagogik im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt bestellt.
In der Verantwortung für andere Menschen , die unter dem Unverständnis der Kirche leiden, und aus Sorge für die Kirche meldete ich mich 1989 mit einem Buch über unsere Erfahrungen zu Wort.[1] Ich wollte mit der Kirche an der Basis und mit der Hierarchie in einen Dialog eintreten, denn das Gespräch über den Zölibat schien mir ein autistischer Monolog amtsenthobener und verletzter Priester und Ordensmitglieder geworden zu sein. Ich griff zu dem Mittel „Therapie durch Provokation“. Aus begründeter Skepsis glaubte ich jedoch schon immer, dass nur die Zeit als wirksame Therapie in Frage kommt. Es ist doch symptomatisch: Der Papst redet in „persona Christi“ mit verheirateten Priestern immer noch nicht! Wie muss er auf dem Irrweg sein! Es zeigt sich: er ist nur Stellvertreter.
Der größte Teil des Kirchenvolks zeigt sich aufgeschlossen und entschlossen, das Priesteramt von der Last des Zölibats zu befreien. So weit die Menschen heute das Fehlen von Priestern überhaupt noch bedauern, haben sie begriffen, dass es sich die Kirche eigentlich gar nicht leisten kann, das große Potential an Kraft und gutem Willen, das in den Amts enthobenen Priestern, in den eigentlich Berufenen und besonders in den Frauen liegt, auszuschlagen.
Nicht zuletzt das beharrliche Bemühen in allen Medien trägt zur Bewusstseinsänderung bei und zu der Erkenntnis, dass die Kirche durch Aufrechterhaltung unbiblischer Bedingungen für die Zulassung zum Priesteramt das Wirken Gottes unter den Menschen von heute behindert.
Es gilt weiterhin als anerkannt, dass der Zölibat in seiner heutigen Form zu gar nichts taugt, als Menschen zu deformieren, wohingegen die freie Entscheidung für die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen bei Bestehen einer echten Alternative ein leuchtendes Glaubenszeugnis wäre.
Ich wollte durch meine Initiative auch bewirken, dass die Ordinarien einem Priester, der die Zölibatsverpflichtung aufgrund verschiedener Lebensumstände nicht mehr tragen kann, einen ehrenhaften Abschied gestatten, wie es unter zivilisierten Menschen üblich ist. Die bisher geübte Stigmatisierung sollte ein Ende haben, weil sie einen Anschlag auf die Würde des Menschen bedeutet. Die verantwortlichen sollten ihr Volk, das sie als Gottesvolk bezeichnen, um der eigenen Glaubwürdigkeit willen zu einem humanen Denken und Verhalten anregen.
Es war mir auch ein Anliegen, die Einsicht zu bewirken, dass es viele Dienste in der Kirche von heute gibt, die loyal gebliebene verheiratete Priester mit vielleicht größerer Hinhabe als vor ihrer Heirat, schon aus Dankbarkeit für das Glück ihrer Ehe, leisten würden. Als Fernziel schwebte mir vor, die Kirche zu einem anderen Amtsverständnis zu bewegen.
Mein oben genanntes Buch brachte mich in die Rolle der Klagemauer. In ungezählten Briefen und Telefonaten berichteten mir Menschen von ihren Leiden an der Kirche. Fast ausnahmslos teilten sie meine Meinung und brachten mir unverhohlen Respekt und Bewunderung entgegen, weil ich mich mutig mit meiner Lebensgeschichte der öffentlichen Kritik stellte.
Für meine Frau und für mich eröffnete ein geradezu stürmischer Informationsfluss einen schrecklichen Einblick in die Tragik, die psychischer Zwang, Versagen, fehlendes Verständnis und mangelnde Liebe bewirken. Was wir vorher nur ahnten, war bloß die Spitze des Eisbergs. Wir hatten keine Vorstellung von der Breite und Tiefe des Problems des unbewältigten Zölibats. Ich kann den Zweckoptimismus mancher Bischöfe nicht verstehen, die glauben, sich „schützend“ vor die Ehre ihrer Priester stellen zu können, indem sie sagen, das Presbyterium als ganzes lebe in der Treue zum einmal gegebenen Wort und bei den Priestern, die am Zölibat scheitern, handle es sich um misslungene Einzelschicksale, die zum Anlass einer Anti-Zölibats-Kampagne genommen würden.
Kann etwa ein Bischof in die Seelen seiner Priester schauen? Kennt er ihre Gedanken, Wünsche, Sehsüchte, Träume? – Sie müssen ihm verborgen bleiben wie deren Not, Ringen, Versagen, Schuldigwerden. Ich möchte dem Voyeurismus keinen Vorschub leisten, aber ich muss aufgrund eines umfangreichen Materials von einer profunden Not unter Priestern und Ordensleuten Kenntnis geben. Ich muss auf das noch tiefer empfundene Leid von Frauen zu sprechen kommen, die mit einem Priester ein verbotenes Verhältnis haben. Sie sind aus Liebe die verschwiegenen Opfer des Zölibatsgesetzes, obwohl sie nicht selten zu Tätern gestempelt werden. Tausende von Priesterkindern dürfen nicht vergessen werden, die der Liebe ihr Leben danken, einer Liebe, die es nicht hätte geben dürfen. Diese Kinder haben ein Recht auf die Zuneigung von Vater und Mutter. Zu deren Schaden setzt die Amtskirche bedenkenlos Unrecht für Recht.
Statt dass sie den Priester, der Vater ist, an seine Vaterpflicht erinnert, begünstigt sie seine Flucht aus der Verantwortung oder lässt ihm keine andere Wahl als die Lebenslüge.
Ich muss auch der ständig wiederholten Behauptung widersprechen, die am Zölibat gescheiterten Priester hätten seinerzeit in völliger Freiheit und im reifen Alter eine endgültige und unwiderrufliche Entscheidung getroffen, genau so wie ein Mann und eine Frau, die sich sakramental aneinander binden. Es ist unzweifelhaft erwiesen, dass es für fast jeden Priester historische, biologische, psychologische und soziologische Gründe gibt, die an seiner Freiheit zweifeln lassen, obwohl die Meisten unter ihnen das nicht wahrhaben wollen. Es war der Zwang des Faktischen, der sie an der Wahl des ehelichen Lebens hinderte. Hätte es eine Alternative zum zölibatären Priestersein gegeben, hätten sie in der Mehrzahl eine andere Wahl getroffen.
Mit dieser pessimistischen Vergangenheitsbewältigung will ich meine Überlegungen über mich und mein Priestersein zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht beenden. Ich bekenne, dass ich mich immer mitten im Dienst vor Gott und für die Menschen fühlte – und das trotz aller Restriktionen. Wenn ich kraft Dekret nicht einmal den Dienst des schlechtesten Lesers meiner Schulen in der Messe leisten dufte, die Epistel vorzutragen oder zu ministrieren ( ich rangierte noch hinter den Ministrantinnen, deren Dienst nun auch schon wieder angezweifelt wird), so gab ich durch mein Leben und meine Liebe in Familie und Beruf, sowie in meinem über ein Jahrzehnt dauernden ehrenamtlichen Dienst in einer Gemeinde , doch ein priesterliches Zeugnis.
Für mich und die große Zahl derer, deren ungestillte Liebe und schweres Leid, das ihnen die Kirche auferlegt, mir bekannt ist, trage ich Gott, unserem Vater, die Bitte vor: „Dein Reich komme!“
Zu meiner Person füge ich noch hinzu:
Nach meiner Pensionierung aus dem Schuldienst im Jahre 1995 begann ich an der Uni Eichstätt ein neues Studium in Allgemeiner Pädagogik, Geschichte und Volkskunde. Meine Doktorarbeit lautete : „Die Wirkung der Eltern auf ihre Kinder unter dem Aspekt der Intensität und Dauer und unter Berücksichtigung der fördernden und behindernden Faktoren.“
Im Jahre 2000 kehrte ich in meinen Heimatort zurück, an dem ich mir ein Haus baute. Das Zurückgelassene hinterließ ich meinen zwei Kindern und den Enkelkindern.
Hier zu Bad Abbach bin ich nun schon 12 Jahre lang ehrenamtlicher Archivar. Für meine Tätigkeit bin ich mit dem Goldenen Ehrenring ausgezeichnet worden, worauf ich sehr stolz bin.
[1] Alfons Kraus, Für einen gefallenen Engel beten sie nicht – Die katholische Kirche und ihre verheirateten Priester, Ingolstadt 21989, Oberursel 31989.