Die Zeit, in der ich geboren wurde und aufgewachsen bin, darf mit Fug und Recht spartanisch genannt werden. Trotzdem entwickelten sich in mir ein paar epikuräische Züge.
In dieser Zeit war an Zigarettenautomaten überhaupt noch nicht zu denken. Tabak, Zigarren und Zigaretten waren nur gegen Lebensmittelkarten erhältlich. Trotzdem vollzog ich mit meinen Freunden Adolf und Otto die ersten nikodinischen Experimente.
Wir benutzen dazu die „Judenstricke“, die in der Gegend überall wuchsen. Das Schlingewächs umwuchert die höchsten Bäume wie die Schlangen den Laokoon. Die Dicke richtet sich nach der Auswahl, von der Stricknadel- bis zur Armdicke.

Reichlich mit diesem Angebot der Natur ausgerüstet schlichen wir uns einmal in den Fremdenstall der Gastwirtschaft Petschko am Markte. Da lag haufenweise Stroh zum Einstreuen für die Pferde durchreisender Gäste. Wir aber entfachten in einer Ecke mit einem Büschel ein Feuerchen, mit dem wir die Glimmstengel zum Glühen bringen wollten.
Der Versuch erwies sich als interessant aber wenig genussreich. Bevor wir aus dem Versteck verdufteten, drückten wir das Feuer aus. Aber die Versuchsrunde hatte gegen Abend ein furchtbar schlechtes Gewissen.
Es blieb unbekannt, ob die Feuerwehr unseretwegen ausrücken musste, oder ein noch späterer Besucher unachtsam mit offenem Licht oder einer Zigarette umging.
Wir Drei haben verständlicher Weise nicht danach gefragt. Es ist auch zu bedenken, dass die Elektrizität noch nicht in jeden Winkel von Bad Abbach vorgedrungen war.
Im Jahre 1945 – Welten lagen dazwischen – machte ein ähnlicher Versuch einen ungeahnten Fortschritt!
Die amerikanischen Besatzer wurden von ihrem Vaterland reichlich mit Zigaretten versorgt:
Camel, Lucky Strike, Chesterfield hießen die wesentlichen Sorten. Weil die GIs genug davon hatten, rauchten sie die Sargnägel nur bis zur Hälfte ab. Den Rest, damals schon Kippen genannt, knipsten sie mit geübtem Daumenkick auf die Straße.
Sobald wir Buben einen rauchenden GI dahinschlendern sahen, was damals oft geschah, schlichen wir ihm nach, warteten auf den Augenblick des Kicks und stürzten uns auf den noch glimmenden Rest. Den rauchte man auf einer „Zigarettenspitz“ (= Mundstück) gleich zu Ende, oder man sammelte den Tabak in einer Dose, um damit richtige Zigaretten zu drehen.
Auf dem Spitzboden unseres Wohnquartiers richtete ich ein richtiges Tabaklager ein und lud gegen das Versprechen absoluter Verschwiegenheit alle meine echten Freunde zum Smoke-in ein.
Ich selbst hatte mich mit einer besonderen Attraktion gewappnet. Unter der Bewunderung aller Anwesenden stopfte ich mir eine selbstgebastelte Pfeife. Es war der kautschukerne Handgriff eines Regenschirms.
Wie ich aber den „Koksofen“ – so nannte man damals auch richtige Tabakspfeifen – in Gang brachte, fing der Kautschuk Feuer und brannte in einer mächtige Fackel ab, dass ich mir fast die Finger und den Mund verbrannte.
Glücklicher Weise hatte ein paar Jahre vorher die Reichsregierung angeordnet, dass wegen der Brandbomben der Feinde bei Luftangriffen auf allen Speichern des Reiches neben den Kaminen Behälter mit Wasser und Sand zu stehen hatten. Mit dem Inhalt sollten alle Brände im Keim erstickt werden, sobald man sie entdeckte.
Ich war gut exerziert und erinnerte mich in der Stunde der Gefahr an diese Wasserstelle wie an eine Oase in der Wüste. Glücklicher Weise hatte der Hausherr, weil er noch nicht aus dem Krieg zurück war, seinen Speicher noch nicht aufgeräumt. So kam auch dieses Wasser noch zu seinen Ehren : Konnte es schon während des Krieges das Haus nicht vor seinem Ruin bewahren, durfte es sich an jenem Tage mit diesem Ruhm bekleckern.
Es brannte sich aber ab da für immer in meine Seele und mein Gedächtnis der wahrhaftige Grundsatz ein: „Messer, Gabel, Scher`und Licht taugt für kleine (?) Kinder nicht!“