Ich sollte zuerst erklären, was „Primiz“ bedeutet. Es handelt sich um die Feier der ersten Messe, die ein kath. Geistlicher nach seiner Priesterweihe (meist in seiner Heimat) feiert. Von der Teilnahme an dieser Messe gehe ein besonderer Segen aus, und es sei der Sage nach wert, ein Paar Schuhe durchzulaufen.

Nachdem sich die Feier meiner Primiz in Bad Abbach dieser Hoffnung gemäß mit gewaltigen Menschenmassen anließ, will ich sie in meine Geschichtsbetrachtung einbeziehen. Ich verstehe mich auch in diesem Fall als Zeitzeuge, nachdem diese Spezies Menschen, die Neupriester, in der Zukunft rar werden könnte.

Zur Priesterweihe am Fest Peter und Paul des Jahres 1962 im Dom zu Regensburg waren wir 21 Weihekandidaten. Die Weihe nahm Bischof Rudolf Graber vor. Der Dom war bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Domchor (Regensburger Domspatzen) wühlte mit Gesängen von ergreifender Reinheit, Vollendung und Tiefe unsere Seele auf. Hernach spendeten wir Neupriester alle zusammen den Primizsegen, für den sogar der Domplatz draußen noch voller Leute stand.

Es war eine Verdichtung der Spannung und der Erwartung spürbar, als wir vor dem Bischof knieten, der jedem die Hände auflegte, die Stola über der Brust kreuzte, die Casel Messgewand) anlegte, die Hände salbte. Wie einprägsam wurde die Bereitschaft der Neugeweihten aufgewiesen, als sie dem Bischof eine brennende Kerze darreichten, was so viel hieß als: „So brenne auch ich, wie diese Kerze.“

Aber das Symbol deutete keiner zu Ende! Wenn die Kerze abgebrannt ist, wer zündet sie dann wieder an? Wovon soll dann das Feuer genährt werden, wenn keiner dabei hilft?

Als ich vor dem Bischof zur Handauflegung kniete, war ich der Vorletzte, Johannes Lorenzer (bereits +) aus Rottenburg a.d.Laber der Letzte. Beide haben wir geheiratet. War dem Bischof bei uns zweien die Kraft der Weihehandlung schon erlahmt, oder war sie bei uns zweien besonders stark? So stark, dass wir die undenkbare Kraft aufbrachten, unseren Weg öffentlich und sichtbar zu korrigieren und zu heiraten. Manch anderer hatte die Kraft nicht.

Die Freude meiner Angehörigen war am Tag meiner Weihe von ihren Gesichtern abzulesen. Ebenso verhielt es sich bei den vielen angereisten Gästen aus Abbach. Sie alle drückten mir die Hände und ich wurde wie ein neuer Mensch gefeiert, der ich durch die Weihe geworden sei.

Der Tag war voller Hektik. Um 14.00 Uhr musste ich beim Bischof in seinem Palais die Dankesrede halten. Ich war ja der Kurssprecher , zu dem ich ein Jahr zuvor einstimmig gewählt worden war. Den Rest des Tages bis in die Nacht wurde ich in der ganzen Stadt herumgeschickt und herumgereicht, den Primizsegen zu erteilen. Dann fieberte ich dem nächsten Tag und den nächsten Zeiten entgegen.

Meine Heimat Bad Abbach empfing mich, wie heute Spitzensportler, Astronauten und Präsidenten empfangen werden. War der König oder der Prinzregent eingetroffen? Ein Bischofsempfang wie in früheren Zeiten war dagegen eine Kleinigkeit. Unüberschaubare Menschenmassen standen da vom Krankenhausberg bis zur Brauerei mitten im Markt, als ich am Ortseingang erwartet wurde. Der Gutsbesitzer Hubert Kraml aus Eiglstetten rechnete es sich zur Ehre an, dass er mich mit einem herrlich geschmückten Auto , so wie für eine Hochzeit herausgeputzt, von Regensburg nach Abbach chauffieren durfte. Totenstille trat ein, als ich aus dem Auto stieg. Es war ein überreiches, aber attraktives Programm vorbereitet, das reibungslos ablief. Mit Musik ging es zur Pfarrkirche auf dem Berg. Der Weg war mit Fahnen, Girlanden und Spruchbändern geschmückt: „Du bist Priester auf ewig!“ In der Kirche folgten Reden und auch eine erste Predigt von mir. Nach meinem feierlichen Primiz-Segen geleiteten mich die Scharen über die mit Blumen geschmückte Römerstraße zum Haus meiner Eltern. „Ein Stern geht auf über dem Haus, aus dem ein Priester kam“, stand da auf einem Spruchband über dem Eingang.

099 Wie man in Bad Abbach Feste feierte Primiz Kraus

Empfang am 30.06.1962. Vor dem Eingang zur Pfarrkirche.
Die vier Geistlichen von links nach rechts
Kaplan Jakob Egler, Pfarrer Ludwig Meier, Pfarrer Adolf Pauly, Primiziant Dr. Alfons Kraus
( im Hintergrund Johann Adlhoch, Kirchenpfleger, unbekannt, Otto Windl, Altbürgermeister)
Was in den nächsten Tagen, besonders am Tag der Primiz folgte, kann in der ganzen Bandbreite gar nicht geschildert werden. Es war ein Tag in voller barocker Pracht mit Gesang und Gedichten. Zur Kirche ging es unter den Klängen der Laabertaler Trachtenkapelle. Ganz Abbach hatte sich festlich herausgeputzt. Die Feuerwehr hatte zu tun, die Ungeduldigen mit ausgespannten Seilen daran zu hindern, die Kirche schon vor der Messfeier zu stürmen. Die Liedertafel und der Kirchenchor, den es noch gab, begleitete das Geschehen am Altar. Die Leute hatten bei weitem nicht Platz gefunden, und so musste die Feier auf den Friedhof übertragen werden. Der Primizprediger pries in großen Worten das Amt des Priesters und die Person des neuen Inhabers. Mit von der Partie war ein kleines, zierliches Mädchen, die sog. „Primizbraut“ ( Maria Fischer), die die Kirche als eigentliche Braut symbolisierte. Die Presse und die Photographen hatten ihre große Stunde, die sie bis zum Abend ausweiteten.
Nach der Kirche fand wieder ein Festzug aller Vereine der Pfarrei und des Marktes mit Fahnenbeteiligung zu Rheumakrankenhaus II (heute Asklepios) statt. Dort war der Tisch für die Festtagsgäste gedeckt. Während des 3-stündigen Mahles fanden wieder eine Menge Reden statt. Während des Essens gab es ein buntes abwechslungsreiches Unterhaltungsprogramm mit viel Humor und Musik. Es spielte das Kurorchester Bad Abbach unter der Leitung von Kurt Philipp.
Dies war die Speisenfolge:
Leberspätzlesuppe mit Bratwursteinlage
Rindfleisch, gekocht mit Preiselbeeren und Schwenkkartoffeln
Schweinebraten, zwei Kartoffelknödel und Sauerkraut
¼ Brathuhn mit Kartoffelsalat
grüner Salat, rote Rüben
Eis nach Belieben mit Waffeln
Zwei Tassen Kaffee, Kuchen und Torten nach belieben
1/8 L Wein, 1 Liter Bier hell.

Ausgekocht wurde zwar in der Küche des BRK II vom Ehepaar Inge und Josef Manglkammer, dem Jos, der einmal mein Lehrer war. Jos und Inge waren Besitzer des Rathaus Cafes. Das Mahl kostete 13 DM pro Person. Es waren 488 Gäste geladen, 547 waren gekommen. Der große Speisesaal bot gut Platz für alle. Ich hielt 45 Personen mahlfrei.

Die Post brachte einen Wäschekorb voll Gratulationsbrefe ins Haus.

An Mahlgeldern und Geldgeschenken nahm ich 19.000 DM ein. Davon waren aber alle Verbindlichkeiten zu liquidieren. 8000 DM kostete allein das Mahl bei den Gastwirten. Wegen der mangelnden Absprache waren Sachgeschenke wie Handtücher, Bettwäsche etc. weit über den Bedarf eines Menschen hinaus nicht zweckdienlich und allmählich nur mehr Flohmarktware.

Vom restlichen Geld (11.000 DM) musste ich für die weit ausgedehnte erste Seelsorgestelle in Au/ Hallertau einen VW- Käfer anschaffen. Er kostete mit Zulassung etc. 6000 DM. Ihn fuhr ich im Winter darauf bei Glatteis auf dem Weg von der Messe zum Pfarrhof zurück zu Schrott, was weitere Kosten verursachte. Von den nach der Primiz übrigen 5000 DM verschenkte ich 3000 DM, vom Rest musste ich mich im Pfarrhaus von Au einrichten. Ich war ja ohne alles Notwendige frisch von der Hochschule gekommen.

Es stellte sich heraus, dass von den Geldgeschenken nichts übrig geblieben war.

An dieser Stelle muss ich noch einige Nachsätze anbringen dürfen:

Einer meiner Gäste war der Pfarrer von Hohengebraching, Rupert Scheuerer. Er schenkte mir eine schwarze Aktentasche. Er überreichte sein Geschenk mit den bei ihm üblichen humoristischen Sprüchen. Aus dem was er sagte, zogen ein paar Naive den Schluss, dass die Tasche mit Geldscheinen prall gefüllt gewesen sei. Dieser Meinung folgend entstand das Gerücht von einem Geldsegen ohne Grenzen für mich, was unbegrenzten Neid bei gewissen Leuten generierte. Das war die böse Seite der Feier der Primiz.

Nach meinem freiwilligen Rücktritt vom Pfarramt 1969 erinnerten sich einige an die damalige Mähr und es reute sie das von mir angeblich missbräuchlich angenommene Geschenk. Manche verlangten dies zurück, Sachgeschenke schickte ich dann per Post an den „großzügigen Gönner“ zurück, angebliche Geldspenden konnten sie nicht verifizieren. Alles war sehr betrüblich.

Der Nachsatz wäre insofern überflüssig gewesen , hätte das Gerücht nicht bis in unsere Tage (2010) eine faule Sprosse getrieben. Noch immer fragt mich ein Mensch von hier ( 50 Jahre post Festum!), wenn er mir auf der Straße begegnet : „Hast du deine Primizgeschenke schon zurückgegeben?“

Gäbe es eine Ratingagentur für Verstand, Anstand, und theologisches wie religiöses Wissen, würde dieser Mensch auf der Skala ganz unter rangieren.

  1. Von ihm habe ich gar nichts bekommen, weil es noch Jahre dauerte, bis er Bürger von Abbach und Glied der Pfarrei Abbach wurde. Er stützt seinen Überschwang also nur auf Hören-Sagen und Altweibergetratsche
  2. Ich habe immerhin sieben Jahre nach meinem Studium und der Priesterweihe als Pfarrer der katholischen Kirche treu und fleißig gedient.
  3. Nach der Lehre der Kirche bin ich Priester immer noch und auf ewig. Durch das juristische, gottwidrige Konstrukt „Laisierung“ (was gar nicht geht) bin ich nur bei der Ausübung des Amtes gehindert. Daher die Bezeichnung „Priester ohne Amt“. Im Notfall (z. B. Todesgefahr) sei ich verpflichtet, das Amt auszuüben.
  4. Der Frager kann sich, wen er hinreichenden theologischen Sachverstand besitzt, in Gen 27,30 ( Geschichte um Isaak, Esau und Jakob) informieren, was Gott von einer sog. „Laisierung „hält.
  5. Ich habe als Lehrer in Ingolstadt – Friedrichshofen, nach Rückerhalt der Missio canonica, 10 Jahre lang, wöchentlich drei Religionsstunden – über mein reguläres Stundenmaß als Lehrer hinaus – gratis und ohne die übliche Bezahlung gehalten, nur damit ich dieser Kirche nichts mehr schuldig bin.
  6. Ich habe auch der Kirche von Abbach „Schulden-Reste“ als Archivar bei der kostenlosen Ordnung des Abbacher und Poikamer Pfarrarchivs zurückerstattet. Außerdem organisierte ich mehrere Ausstellungen zu kirchlichen Themen. Dies alles geschah ehrenamtlich.
  7. Ich habe allen Abbachern durch meine intensive 10-jährige, kostenlose Arbeit am Gemeindearchiv alles zurückerstattet, was sie mir vielleicht einmal geschenkt haben.
  8. Ich darf gar nicht an all das denken, was mir die Kirche, auch die Kirche von Abbach, schuldig wäre, für das, was sie mir und meiner Familie zur Zeit meines Berufswechsels Böses zugefügt hat. (Siehe meine Bücher „Für einen gefallenen Engel beten sie nicht“ und „Wahrhaftigkeit – Priester sein zwischen Anspruch und Wirklichkeit“. Letzteres Buch, herausgegeben von Bernd Marz, einem Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn, wurde in seiner ganzen Auflage (5000 Stück) kurz nach dem Erscheinen beim Patmos Verlag in Düsseldorf, leider in seiner ganzen noch verfügbaren Stückzahl von einer Stelle der Erzdiözese Koln mit dem Zwang zur Nicht-Wieder-Auflage weggekauft, damit es nicht unter die Leute kam. Das war ein typischer Fall von Vertuschung!))

Dem Ignoranten und seinen Hinterleuten, sofern er solche noch hat, gebe ich also mit gutem Gewissen an dieser Stelle zur Antwort: „Ich habe mehr als alles zurückbezahlt!“