Es ist schon merkwürdig, was manche Leute bei sich für fromm halten. In vielen dieser Fälle wird der liebe Gott, wenn er eine Stirn hat, diese runzeln. Ist doch besagte Frömmigkeit nicht frei von Berechnung. Wenn wir als Gegenleistung für unser Guttun und – sein die Krone des ewigen Lebens erwarten, sind wir wahrlich nicht bescheiden!

Wie ich ein Bub war, hatten wir eine notvolle Zeit durchzustehen. Am schlimmsten war es nach dem Krieg. Da war das Brot eine Rarität. Die Bauern rings herum, oder gar die vom Markt, hatten mit den Notleidern wenig Mitleid. Wer etwas zu tauschen hatte, oder wessen Einfluss nützlich war, der erhielt auch eine sog. Schmiere. Die normalen Zeitgenossen nicht, auch wenn ihnen der Magen knurrte.

Wenn aber wir Kinder anrückten und um ein Stück Brot baten – das Wort „Bettel“ vermeide ich absichtlich, weil wir unseren Preis bezahlten – gab fast jede Bäuerin ihrem Herzen einen Ruck und spendierte einen dicken Happen. Wir wollten, wie gesagt, nichts umsonst. Wir beteten im „Fletz“ (= Hauseingang) ein „Vater unser“, wenn die Gabe es wert war, auch zwei.

„Geh´ma zum Vata unsa bet´n!“ nannten wir diesen Vorgang, wenn wir Nachbarskinder zu viert oder fünft nach Peising, Oberndorf oder Saalhaupt ausschwärmten. Manchmal wagten wir uns sogar über die Eisenbahnbrücke nach Poikam, das damals noch nicht zu Abbach gehörte.

Gott, den ich damals noch für den lieben Gott hielt, revangierte sich sofort und reichlich für unsere vertrauensvolle Bitte „unser tägliches Brot gib uns heute!“

Bis zum Abend hatten wir unseren „Zöcherer“ voll von Essbarem.[i] Hernach ging es ans Teilen. Gerecht musste es vor allem dann zugehen. Offenbar wurde ich als gerecht befunden, denn mir viel jeweils die Aufgabe des Teilens zu. Ich machte schließlich auch bei den Bauern immer die Haustüre auf und ging voran, obwohl auch ich einen gehörigen Bammel hatte. Aber einer musste ja die Führung übernehmen. Auch konnte ich am lautesten beten. Wenn ich einmal in Fahrt war, hatte ich bald keine „Schiss“ mehr.

Das Überleben überließen wir als Kinder und Jugendliche in dieser Zeit aber nicht nur dem lieben Gott. Wir leisteten auch einem Beitrag in eigener Verantwortung:

Die Donau war damals – wie es heute ist, weiß ich nicht genau – reich an Fischen. Vom großen Weißfischen bis zu kleinen Lauben konnte man alles brauchen. In den Fluren von Abbach lagen nach dem Krieg ganze Arsenale von Handgranaten. Für unseren Zweck eigneten sich die Eierhandgranaten am besten. Wegen der erfahrenen militärischen Früherziehung verstanden wir es auch, dieses Zeug zu handhaben. Man zog das Ding ab, warf es in die Donau, und unverzüglich, 50 m weiter, trieben mehrere Fische an der Wasseroberfläche. Man brauchte nur ins Wasser zu springen, um die Beute zu bergen. Manchmal brieten wir die Fische gleich an der Donau zum Verzehr oder versteckten sie im Gebüsch, damit wir sie am Abend vor Beginn der Sperrstunde (22 Uhr) im Schutz der Nacht nach Hause tragen konnten.

Aber Ende 1945 wurden Suchtrupps ausgesandt, die die Bevölkerung von den herumliegenden Kriegsrelikten befreien sollten. Darum hörten die rauen Sitten, die wir Buben uns im Spiel mit der Fundmunition angeeignet hatten, auf. Das Fischen war leider wieder zum Monopol des dafür bestimmten Gewerbes geworden. Auch das Fischen mit der Angel war schließlich wieder verboten. Eingedenk der Tatsache, dass selbst Kardinal Frings in Köln das Ausrauben von Kohlewagons auf den Bahnhöfen nicht für sittlich verwerflich fand, sondern als eine Art von Mundraub in extremer Notlage – den Vorgang nannte man nach ihn „fringsen“ – hatte mein Vater nichts dagegen, dass ich in der Donau nach Lauben fischte. Was in der Donau schwamm, meinte er, gehöre allen.

Und so sammelte ich die kleinen Fischlein, von denen alle 10 Minuten einer biss, in Mengen. Am Abend war ein Wassereimer voll, in den Mama einen Sud aus Essig und Zwiebeln ansetzte. Was darinnen garte, nannten wir Bismarckheringe. Sie gaben mit Pellkartoffel ein delikates Zubrot ab.

Das Problem bestand lediglich darin, wie man den gefüllten Eimer nach Hause brachte. Die Angelgerte versteckte ich im Gebüsch an der Donau für das nächste Mal. Es hätte schon mit dem Teufel zugehen müssen, wenn sie in dem Loch einer alten Kopfweide entdeckt worden wäre.

Eines Tages kam dann doch die Polizei zu Papa, der Nantsch (Zieglmeier Franz, Berufsfischer) hatte mich angezeigt. Aber es fehlten die Beweise, und Papa konnte so überzeugend jeglichen Verdacht zerstreuen.

Ich erinnere mich an einen weiteren Glücksfall, der unseren Hunger stillte:

Im Frühjahr 1946 schenkte mein Großvater jedem seiner verheirateten Kinder, 12 an der Zahl, einen halben Zentner Weizen. Es war nicht viel übrig geblieben von der Ernte, weil die Militärs 1944/45 den Winterbau vermasselt und die heimischen Behörden sogar das Saatgut für die nächste Aussaat requiriert hatten.

Aber den Weizen gleich zur Mühle zu fahren, war zu riskant, und so stand der Weizensack lange Zeit im Schlafzimmer hinter der Eingangstüre. Einen Teil brach Mama in der Kaffeemühle zu Schrott und buk Brot damit. Den restlichen Teil trug ich im Rucksack bei Nacht und Nebel über den Katzstein bei Frauenbrünnl zur Mühle nach Teugn. Mein Großvater hatte mein Kommen angekündigt. Der Müller hatte aber kein Mehl vorrätig, wie ich in der Nacht so vor ihm stand, aber Grieß hatte er genug. Ich erhielt den halben Rucksack voll, etwas weniger als ich Weizen mitgebracht hatte.

Nun gab es Wochen lang nichts als Grießbrei und Grießsuppe, so viel und so oft, dass ich hernach lange Zeit keinen Grießbrei mehr riechen konnte.

Auch von der Kartoffelernte nahmen wir uns unseren Anteil. Einen Teil „fringsten“ wir von waldnahen Feldern einheimischer Bauern, manchmal konnte Großvater uns zu Hilfe kommen. Dann gab es in der Frühe statt Zichorienkaffee Kartoffelsuppe. In die Schule nahmen meine Schwester und ich in einer Spitztüte Bröselschmarrn (= Kartoffelschmarrn) für die Pause mit. Kartoffelschmarrn war damals ein beliebtes Volksgebäck, weil die Kartoffeln am leichtesten aufzutreiben waren.

[i] Zöcherer = Sacktasche mit zwei eisernen Ringhandeln.