Wie ich selbst das Ende des 2. Weltkrieges erlebte
Im März 1945 bekam ich einen schriftlichen Befehl der Kreisleitung, wegen notorischen Schwänzens des Appells der Hitlerjugend nach Vilsbiburg in das Straflager einzurücken.
Einige Wochen vor der Abreise, als ich zum Brotkaufen in einer langen Schlange bei der Bäckerei Listl in der Kochstraße, gleich nach dem „Bad“ auf der linken Seite, anstand, hörte ich von weitem schon den Kanonendonner der Amerikaner aus der Ferne. Im Einverständnis mit meiner Mutter und mit dem des Ortspfarrers Alois Lehner entschloss ich mich, der Einberufung nicht mehr zu folgen. Die gemeindliche Verwaltung und Ordnungsmacht war nach der Einschätzung meiner Mutter schon mit anderen Problemen befasst, als dass sie, so hofften wir, nachkontrollieren könnten, wohin ich mich entfernt habe, wenn sie mich im Ort nicht mehr sehen.
Ersatzweise nahm mich also der Pfarrer in seinen Hauskeller auf, wo ich mich stillhalten sollte, „bis der Schwindel zu Ende ist“. Ich wurde auch von der Pfarrersköchin mit Essen versorgt.
In der Nacht zum 26. April knallten die Amerikaner eine Phosphorgranate an die Pfarrhofmauer, und vor Rauch konnte man es im Haus nicht mehr aushalten. In der Not der letzten Tage war auch meine Mutter und Schwester zu mir gestoßen.
Alle zusammen beschlossen wir, das Haus trotz Todesgefahr bei beständigem Beschuss des Ortes zu verlassen und einen Luftschutzkeller aufzusuchen. Jedoch war im zunächst anvisierten Bad-Keller kein Stehplatz mehr vorhanden, da auch laufend schwer verwundete Soldaten angeliefert wurden.
Unsere Gruppe, der Pfarrer, seine zwei Schwestern, meine Mutter und meine Schwester Fanny, hatten es in der Todesangst geschafft, die hohe Panzersperre beim Bad zu überwinden und es im Kindergartenkeller zu versuchen. Obwohl es ein kirchliches Haus war, konnten wir im Keller wegen Überfüllung keinen Platz finden.
Wir flüchteten weiter mit dem Ziel Klause Frauenbrünnl. Aber hinter Weichs, bei der Abbiegung des Feldwegs zum Mühlberg, kam uns ein großgewachsener Soldat in die Quere, der in der Hand eine Pistole trug, die er auf uns richtete. Er war mit einem bei der Wehrmacht üblichen Regenmantel bekleidet und trug einen Helm. Die SS- Runen am Revers seiner Uniform waren deutlich sichtbar. Als er uns ansprach und nach dem Woher und Wohin fragte, erschraken wir sehr. Eine Pfarrersschwester hatte die Nerven verloren und schimpfte auf „Führer, Volk und Vaterland“. Der Pfarrer versuchte zu beschwichtigen und der SS-Mann ließ uns, Gott sei Lob und Dank, ungeniert laufen, nachdem er uns selbst geraten hatte, schleunigst in Frauenbrünnl Zuflucht zu suchen.
Wir waren froh, dass er uns laufen ließ. Der Pfarrer hatte erkannt, dass der Mann Offizier war und gescheiter als manche seiner Offizierskollegen. War er selbst im letzten Moment abgehauen, weil er so alleine querfeldein daherkam?
Die Nacht in Frauenbrünnl verging. Wir waren im Ziegenstall auf einer Strohschütte untergebracht. Im Morgengrauen weckte uns ein Karabinerschuss an das Fensterkreuz. Ich schreckte auf und rannte an die Tür. Als ich in die Richtung Abbach schaute, merkte ich wie sich ein langer, enger Soldatenkordon von der Peisinger Straße bis zum Mühlbergweg Weichs näherte. Es dauerte eine halbe Stunde und der Einödhof war von den Alliierten ohne einen Schuss friedlich genommen. Die Soldatenkette zog den Ring um Abbach enger. Gut Weichs war in der befreiten Zone zurückgelassen.
Wie haben wohl die Bewohner von Weichs die Befeiung erlebt?
Wir – die Gruppe aus Frauenbrünnl – machten uns auf den Weg zum Ort. Nach Weichs mussten wir ca. drei Stunden warten. Beim damaligen Feuerwehrhaus (heute Einfahrt zum Torhausplatz) grüßten die amerikanischen Soldaten freundlich von ihren Panzern herunter. Es begann eine hektische und unsichere Zeit mit Ausgangssperren.
Bürgermeister Georg Frank, der kurz vor dem Anrücken der Amerikaner die Führungsposition in der NSDAP abwälzen konnte, wurde immer wieder zur Schau der Einwohnerschaft auf der Motorhaube eines Jeep durch den Markt gefahren.
Die Spendenfreudigkeit der amerikanischen Besatzer gegenüber Kindern und unser eigenes Organisiertalent, das sich im Laufe des Krieges entwickelt hatte, half unseren traumatisierten Familien – die Vater waren, sofern sie überlebt hatten, noch in Gefangenschaft – über die Hungerzeit.