Wir können davon ausgehen, dass unsere Generation im Vergleich zu den Früheren goldene Zeiten erlebt. Auch trotz vielfacher, oft verschämter Armut unter uns Wohlstandsbürgern des Jahres 2008, dürften wir uns immer noch nicht beklagen, wenn wir einen Blick über den Tellerrand hinaus riskieren.

Wir haben früher über unsere Verhältnisse gelebt! Darum fallen jetzt Rezessions- und Reformsymptome besonders schmerzlich ins Auge.
Es gab schon immer unverschuldete Armut. Für viele galt und gilt: Einmal arm, immer arm. Andere fallen aus der gewohnten sozialen Sicherheit, z.B. beim Verlust des Arbeitsplatzes, im Falle der Scheidung oder nach einer Erkrankung in die Harz-IV-Klemme. Manche haben ihr Los selbst verschuldet. Wie auch immer, „mit dem Ausfüllen eines Harz-IV-Antrages beginnt (..) eine Reise in eine Lebenswelt, die mehr oder minder unbekannt ist“ 1(Leistung von Harz IV: Bescheidene Wohnung frei, gesetzliche Krankenkasse, Erwachsene 345 Euro, Kind 207 Euro monatlich.)

Heute ist sogar im christlich-sozial regierten Bayern wieder jeder zehnte Bürger von Armut bedroht. Eine Million also ist in irgend einer Form von Armut betroffen. Dabei gelte als arm, der weniger als 50 Prozent des landesweiten durchschnittlichen Haushalts-Nettoeinkommens zur Verfügung hat. Mehr als drei Millionen deutsche Haushalte seien Pleite.2

38 Prozent der Kinder in Deutschland erlitten familiäre Armut. Das seien nicht nur Kinder von Langzeitarbeitslosen, sondern vor allem Kinder von alleinerziehenden Müttern und von Menschen, die trotz Arbeit unter Lohn-Dumping litten. Unter den Harz-IV-Empfängern seien nur wenige „Sozialschmarotzer“. Die meisten Menschen wollten arbeiten.3

Denken wir an die betroffenen Menschen auf dem Hintergrund von unermesslichem Leid durch Armut, Krankheit und Tod früherer Zeiten, verursacht durch das Unrecht von Menschen gegen Menschen mitten unter uns, an die durch bourgeoise Verhaltensweisen vergangener Zeiten auferlegten Not- und Hungerfälle, an all das Leid, das auf der Erde lastet, seit es Menschen gibt.

Die ultima Ratio für Menschen, die in früheren Zeiten in extreme Not geraten waren, und im Familienverband keine Bleibe fanden, war das Armenhaus.

Nach Gandershofer war das Siechen-, später Armenhaus, an der Oberndorfer Straße gelegen,4 bereits 1564, dem Jahr der Parth´schen Stiftung, bekannt.5 In dem Buch „Geschichte der Stadt Kelheim“ von Georg Rieger, 1929, befand sich in dem von ihm „Leprosenhaus“ genannten Haus 1659 nur ein einziger Lepros.6
1832 „nährt(e) es“, wie Gandershofer weiß, „nur fünf verarmte Gemeindeglieder nothdürftig.“7

Aus dem Vormerkungsbuch8 der Churfürstlichen Markts Kkammer zu Abbach 18019 erfahren wir, dass keine Fundationsurkunde für obiges Armenhaus mehr zu finden sei. Diese müsse in Schreckenszeiten verloren gegangen sein, darum wisse man auch nicht, wann es gebaut worden ist. Die Wohltäter, denen das Armenhaus das Dasein zu verdanken hat, seien unbekannt.10 Wegen der fehlenden urkundlichen Grundlagen könne man es auch nicht richtig besteuern. Der Inwohner zahle im Jahr lediglich ein Herdgeld von 25 Kreuzern.

Dieses alte Armenhaus wurde vor 1795 abgerissen, weil es völlig baufällig geworden war. 1795 erfolgte dann ein richtiger Neubau, und zwar wegen des Wassers auf einer etwas höher gelegenen Stelle. Das Haus war aus Bruchsteinen erbaut und wurde mit einem schrägen Steindach versehen. Zur ebenen Erde befand sich eine Wohnstube, eine Kammer, dann ein Wohnstüberl für einen Armen. Oben wurde ein zweites Stüberl für einen weiteren Armen hergerichtet. Das Gebäude war 22 Schuh breit und 40 Schuh lang. Der Bau wurde mit eigenen Mitteln der Stiftung finanziert.11 Der alte Platz wurde mit Erlaubnis des hochlöblichen Rentamts vom 24. Oktober 1797 an den Schmied Andreas Gierstorfer (Nachfolger: Englmann-Schmied, Lindinger) um 105 Gulden verkauft, wie die Armenhausrechnung von 1797 ausweist. Der Verkaufsbrief ist aber erst am 2. Januar 1798 errichtet worden. Das neue Haus wurde zu 250 Gulden feuerversichert. Unten wohnte 1801 der Gänsehirt um 12 Gulden Miete. Außerdem befanden sich der abgehauste Melber Lukas Spark von hier und der alte Dienstknecht Georg Haid als Arme im Hause.

1924 hatte das Gebäude die Hausnummer 31, wurde in der Brandversicherungsurkunde als „Armenhaus mit angebautem Abort“ bezeichnet, und zu 760 RM versichert. Die Gemeinde führte es als Armenhaus I, nachdem das Gaishaus, das 1889 als Wohnhaus und Villa, Hs. Nr. 17 1/3 auf dem Friedberg, zunächst als Lehrerwohnung gedacht, dann aber zur Wohnung für Sozialschwache deklariert, als Armenhaus II bezeichnet wurde. Es wurde zu 5490 RM Brand versichert.

Das Armenhaus I an der Oberndorfer Straße wurde in den 1950er Jahren abgerissen. 2007 spielte das der längst vergessenen Armenhausstiftung gehörige Grundsstück noch einmal eine Rolle, als die Marktgemeinde nach der Auflösung des alten Schwimmbades die Straße zu den Grundstücken der neuen Siedlung „Donaublick“ regulieren wollte.

Der Träger des Armenhauses I war also die Armenhausstiftung.
Ihre Einkünfte setzten sich wie folgt zusammen:

Die Zinsen des dürftigen Stiftskapitals und einiger weniger ausgeliehener Gelder,

der Herbergzins (= Miete), in der Regel 8 bis 12 fl,
die „Armenhauspixn“ (= Spendenbüchse im Armenhaus selbst), (am 1.4.1763 waren z.B. 1 fl 20 x darinnen, am 24.7. 58 x, am 20.12. 3 fl 1 x), eigentlich musste die Pixn alle drei Monate geleert werden.
die Wirts- und Bäckerhauspixn. (1763 hatte der Magistrat beschlossen, dass der Inhalt jeweils gedrittelt wird: 1/3 für das Armenhaus, 1/3 für die Hausarmen, 1/3 für aktuelle Bedürfnisse. In diesem Jahr bekamen die Armenhausinsassen 4 fl 35 x. 1773 z.B. wurden an 15 namentlich genannte Hausarme 1 fl 48 x verteilt),
heimbezahlte Kapitalien (1866 wurden z.B. an einen einheimischen bürgerlichen Zimmerer 80 fl „zu seiner unentgeltlichen Notdurft“ ausgeliehen),Spendengelder, wenn jemand das Bedürfnis hatte, Almosen zu geben,
Zuschüsse der Gemeindekasse, besonders in späteren Jahren. Das waren die Erlöse aus der Vergnügungssteuer (Tanz, Hochzeiten) und Bürgerstrafen,
ein Teil der Bürgerrechtsgebühren12,
Erlös aus dem Parth´schen Spendengetreide (s.o.!),
Versteigerung einer Hinterlassenschaft.
Eine Übersicht über Einnahmen und Ausgaben der letzten zehn Jahre bis 1817 listet 2184 Gulden 54 Kreuzer 1 ½ Heller an Einnahmen und 796 Gulden 42 Kreuzer 1 Heller als Ausgaben auf. Es blieb also in 10 Jahren ein Aktiv Rest von 1388 Gulden 12 Kreuzer ½ Heller übrig.13

Es ist nicht uninteressant, was ein sog. Armer, Insasse des Armenhauses, am Ende seiner irdischen Laufbahn an Besitz aufzuweisen hatte. Wir entnehmen diese Daten dem „Versteigerungsprotokoll der von Anton Kindl, im Armenhaus Verstorbenen, wenigen Hinterlassenschaft“ vom 12.10.1829.14 In früheren Jahrhunderten mag der Nachlass noch bescheidener gewesen sein.
Es erschien 1829 möglichst bald nach dem Absterben die Sperrmüllabfuhr jedenfalls nicht, sondern alles, was auch der ärmste Schlucker hinterließ, fand sogleich wieder einen neuen Herrn.

Der Versteigerungserlös des gesamten Nachlasses betrug in diesem Fall 4 Gulden 16 Kreuzer.

Folgendes sind die Ausrufpreise:

 
Ein kleines messingernes Kreuz 6 x (= Kreuzer)
Eine rosa Schale Alte Teile in einem Kammerl, darunter eine alte Truhe u. alter 2 x
Sessel  12 x
1 altes Wasserkrügerl u. 1 Glas 12 x
Eine fichterne alte Bettstatt 12 x
Ein fichternes Tischl 3 x
Eine alte fichterne Truhe 6 x
2 Rosenkränze 1 x
1 alter filzener Hut 3 x
2 ganz alte Stiefel  16 x
1 blauer Rock 1 x
1 alte braune Hose 6 x
1 Brustfell 36 x
1 Hosenträger 9 x
1 Wollleibl  18 x
1 alte Unterhose 9 x
1 altes Leiberl  12 x
Alte Tücher 6 x
Ein Hochzeitsbild und 2 Geldstücke
zur Erinnerung 
15 x
Etliche Pauschen und Scheiter 3 x
3 Bildl in der Kammer – , –

 

Das bleibende Inventar des Armenhauses war mehr als bescheiden.
1778 bis 1780 werden zwei Bettstätten und ein neuerer weißleinener Strohsack angegeben. 1801 war im Armenhaus kein Inventar mehr vorhanden. 1807 wurde eine wollene Decke, ein Laken, ein Strohsack, aber keine Bettstatt aufgefunden.
Wenn ein Verstorbener aus dem Armenhaus Verwandte im Orte hatte, kamen diese sofort, um die spärliche Hinterlassenschaft einzuheimsen.

An Ausgaben der Stiftung werden immer wieder genannt: Steuern, Reparaturkosten für das Armenhaus, selten Bedarfsartikel, armselige Verpflegung für die Insassen, Arzt- und Apothekengebühren, Sargschreiner, Totengräber, Pfarrer mit Gefolge.

Armenhausrechnungen liegen im Archiv von Bad Abbach von 1661 bis 1933/34 fast lückenlos vor. Für die Gemeinde Schlossberg Abbach für das 19. Jh. Im 19.Jh. mutierten die Armenhausrechnungen zuerst in Armenpflege – Rechnungen, dann in Lokalarmenfonds – Rechnungen, nachdem sich die wirtschaftlichen und soziologischen Verhältnisse mit zunehmender Industrialisierung und Gründung des 1. Reiches 1871 mit den folgenden Bismarck´schen Sozialgesetzen zusehends veränderten. Das Armenhaus I trug letztendlich nur mehr den Stempel einer billigen Sozialwohnung für Minderbemittelte.

Auf die Armenkasse der Gemeinde kamen mit der Zeit neue Lasten aus den Heimatrechts-Verbindlichkeiten, Schulgeldbeihilfen, etc. und dem Erwerb des Armenhauses II zu. 1907 meldete die Marktsverwaltung sogar „die Überbürdung mit Armenlasten“ beim Bezirksamt Kelheim an, das die Gemeinde Abach aber an die Regierung von Niederbayern, Kammer des Inneren weiterverwies.15

 1 Evers, Michael . Aktion zur Fastenzeit: Leben mit Hartz IV. MZ v. 22.02.2007.
2 Vgl. Karbe, Antje. Schulden tilgen bis ins Grab ? MZ v. 09.02.2007.
3 Vgl. Norgall, Gustav. Der Teufelskreis: einmal arm, immer arm. MZ v.13.03.07.
PS. Die in der Sage von Abbach erwähnten „Abbacher Herren“ der grauen Vorzeit haben auch in der Sagenwelt von Burgau a.d. Mindel (bei Günzburg) Eingang gefunden. Die Zusammenhänge müssten noch erforscht werden.
4 Landgericht Abach. Prospekt von Abach an die Regierung des Regenkreises, 1759, Archiv von Bad Abbach, XVIII.22.2 . Kopie im Eingangsbereich.
5 Gandershofer, G.M. A.a.O. S.89
6 Rieger, Georg. Geschichte der Stadt Kelheim. Erstes Buch. Leiks V. ,1929. S.225.
7 Gandershofer, G.M. A.a.O.
8 Vormerkungsbuch = Buch über gesetzliche Grundlage und Daten einer Zahlungs- verpflichtung.
9 Churfürstliche Marks Kammer zu Abbach. Vormerkungsbuch 1801. Archiv von
Bad Abbach 9.3.1, S.72 ¾.
10 Armenhausrechnungen 1808/9 – 1816/17, Nr.4, Anhang, Vormerkung. Archiv von Bad Abbach 8.3.2.
11 A.a.O.
12 Churfürstl. Erlass vom 2.3.1803. Vormerkungsbuch ab 1801, S.53 f, Archiv von Bad Abbach 9.3.2.
13 Armenhausrechnung pro 1808/9 bis 1816/17. Archiv von Bad Abbach .
14 Versteigerungsprotokoll der von Anton Lindl, im Armenhaus Verstorbenen,
wenigen Hinterlassenschaft. 12.10.1829. Archiv von Bad Abbach 8.4.2.II.11.
15 Schreiben des Bezirksamts Kelheim an die Marksverwaltung Abbach vom 11.11.1907. Archiv von Bad Abbach 7.3.1.a.