Die heutige Zeit bringt natürlich trotz zurückgehender Sterblichkeit in der Elternschaft, besonders wegen der Gefahren aus Technik und Verkehr, auch Waisen hervor. In diesen Fällen wird aber durch staatliche und gewerbliche Sozialkassen, Versicherungen und andere öffentliche Stellen die Funktion der früheren Sozialgremien einer Kommune kompensiert.

Heute gibt es jedoch das sehr gravierende soziale Problemfeld der Alleinerziehenden wegen des ledigen Standes der Mutter und der Scheidungswaisen, nachdem gegenwärtig 40 bis 50% der jährlich geschlossenen Ehen wieder geschieden werden. Diese Fälle regeln die Familiengerichte.

Schon das Alte Testament versteht den Tod eines Elternteils als tragischen Verlust für den zurückgelassenen Partner und besonders für die verwaisten Kinder. Dieser Personenkreis galt in unserer Kultur als besonders schutzwürdig.

Im AT lesen wir: „Wenn du die Saat schneidest auf deinem Acker, und eine Garbe vergissest und zurücklassest, sollst du nicht umkehren, sie zu holen, sondern sollst sie dem Fremdling und dem Waisen und der Witwe wegtragen lassen, auf dass der Herr, dein Gott, dich segne in jeglichem Werke deiner Hände.“ V. Moses 24,19.1

Auch in säkularen Mandaten finden wir das Gebot der Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe in diesem Punkte verankert. So lesen wir in Nr.16 der Bayerischen Landordnung von 1748 des Churfürsten Maximilian Josef:2

„Nächst disem hat man sich der armen Wittwen, und Waisen, von Obrigkeits wegen anzunehmen, selbe nicht gleich nach des Manns Tod mit allerhand unbillichen Oblagen, und Verfolgungen zu beschweren, ja wohl gar von häußlichen Ehren zu verstossen, sondern vielmehr die hülfreiche Hand zu biethen, und sich gegen die armen Witwen mitleydig zu erzeigen, die Puppillen (= Kinder, A.d.V.) aber sollen unter die Vormundschaften zeitlich genommen, Christlich auferzogen, ihnen zum besten gehaußt, alles wohl angelegt (…)“ werden.

Diese Pflicht ließen sich die vom Markt Ab(b)ach delegierten Personen und Gremien sehr angelegen sein. Wenn jemand aus dem Rat zum „Waisenrat“ bestimmt wurde, bedeutete dies eine besondere Auszeichnung. Das Gremium, das ihm beratend und unterstützend zur Seite stand, ebenfalls Waisenrat genannt, bestand aus besonders dafür qualifizierten Personen.

Eine verantwortungsvolle Aufgabe hatte jeweils der obrigkeitlich bestellte Vormund zu verrichten. Er musste nach dem Tod eines Elternteils die finanzielle, ja gesamtwirtschaftliche Situation der Restfamilie erfassen, und sofern es aktive Hinterlassenschaften oder Vermächtnisse gab, musste er dafür sorgen, dass diese altersfristgemäß zugeteilt wurden. Kammerer und Rat überwachten diese Vorgänge und ratifizierten oder kritisierten sie. Der Umgang mit Mündelgeldern wurde sehr restriktiv gehandhabt. Es wurden in der Regel zwei Vormünder bestellt.
Beim Verdacht von Unregelmäßigkeiten oder von Formfehlern trat sogar die Churfürstliche Rentmeisterliche Umritts Visitations Commission auf den Plan. Es handelte sich um Revisoren und Personen der Rechtsaufsicht der Regierung, meist mobilisiert durch das Landgericht Abach. Im Heimatheft 30/2005 S. 15 berichtete ich bereits über den Fall der sieben verwaisten Kinder des Vordermüllers Adam Apfl, sogar Mitglied des äußeren Rats, wo vergessen worden war, das Geburtsjahr der Kinder anzugeben, so dass man nicht wusste, ab wann das Erbteil nach Erreichen des 17.Lebensjahres zugeteilt werden musste. Diese Kontrolle fand 1718 statt.3

Über meist korrekte Vorgänge berichten vorliegende Vormundschaftsrechungen.4 z.B.:
„Martin Ertl Taglöhner alhier ist verstorben und dessen hinterlassenes Eheweib hat nichts in Vermögen. War aber beliehen. 1 Gulden 7 Kreuzer 3 2/3 Heller ausständig geblieben und von der Wittib nichts mehr zu erhalten. Sie müssen hinfüro abgetragen somit in Ausgab gebracht werden 1 fl 7 X 3 2/3 hl.“ 5

Oder: „Vormund Bartlmä Jungmann, des Inneren Rats Kammerer und Sailler, dan Jakob Aur Vordermüller:
Ortlieb Mathias, Krammers, ehelicher Sohn Johann Baptist im 17.Jahr hat vermög Vertragsbrief von 17.März 1786 zum Vatter Gutt 200 Gulden erhalten. Da solches H. Vormund Jungmann erhalten, den 17.März 1789 die erste Rechnung gemacht worden. Da aber Puppill ausländisch lebend6 in kurzer Zeit 125 Gulden 20 Kreuzer Schulden gemacht und bezahlt werden müssen, hat die Mutter Josefa den Rest zu sich gezogen, um nicht selbst zu darben. Auf Absterben der Mutter ist nach Inventarbuch 1793 folie 57 bis 64 diesem Pupillen angefallen 62 Gulden 1 Kreuzer 5 Heller. 1803, den 30.Oktober, Rechnung gemacht worden. Den 31.Oktober 1806 die zweite Rechnung gemacht.7

Ferner der Bericht über den Nachlass von Josef Alzinger, Innerer Rat und Ehrenkammerer, für seinen Sohn Jakob: „In Ablesung dieser Rechnung hat man befunden, dass solche in Cuncta intakt, aber die Zinsen nicht fleißig eingetrieben worden. Es wird daher dem Vormund sein Säumnis ernstlich verwiesen und dann solches um Unterlassung gebeten (…)“8

Nach häufigem Eintreten des Todesfalles gab es viele Waisen, zumal die Ehen viele Kinder hervorbrachten. So heißt es einmal:
„Vormund Andrä Gierstorfer und Erhard Bauer. Nach Eintrag von 24.April 1794 haben die ( .) Aumeierischen 4 Kinder Simon im 7., Anna Maria im 6., Katharina im 5., Theresia im 3. Jahr von ihren Eltern 200 Gulden (erhalten). Bei Erreichen des 16.Jahr (es) macht der Zins 3 Gulden. Zu ziehen dem Simon 1804 das erste Mal.“9

Das letzte Vormerkungsbuch vor Einführung des Königreichs nennt in diesem Ehrenamt die folgenden angesehenen, gut beleumundeten Bürger als Vormünder:
Jakob Auer, Bürger und Vordermüller,
Martin Leml, resignierter Rath und Hutmacher,
Bartholomäus Jungmann, Kammerer und Seiller,
Andrä Gierstorfer, Rath und Schmied und Erhard Bauer, Metzger,
Kaspar Erenberg und Andrä Obermeier,
Wolfgang Alzinger und Josef Leithaml,
Michael Geigl, Schmied,
Georg Forstner, Schmied und Anton Thiermeier, Kuffner,
Wolfgang Fuchs, Maurer und Leonhard Fischer, Biergeber,
Georg Burger, Biergeber, Zimmermann und Jakob Auer, Vordermüller,
Baltasar Koch10, Kammerer und Schreiner und Ignaz Tax, Färber,
Paulus Hummel, Hafner und Josef Strauch, Kuffner,
Johann Weber, Böck und Josef Haid, Schmied,
Johann Andrä Baur, gewesener Böck und Johann Georg Forster, Schmied,
Benedikt Zirngibl, Kaufmann und Franz Strauch,
Josef Haid, Schmied und Georg Manglkammer, Zimmermann,
Zacharias Paur, Bürger und Wagner,
Jakob Reithmeyer und Josef Meyer.11

1 Im NT siehe Jak. 1,27.
2 Ratts Instruction Churfürstl. Markts Abach. Neu-verbesserte Instruction was die
Bürgerliche Obrigkeiten in Städt- und Märkten des Churfürstenthums und der
Landen zu Bayern etc. Verlag Johann Jacob Vötter, München M. D.CC. XLVIII
Archiv von Bad Abbach 9.3.2.
3 Umrittsprotokolle 1718, Folie 89. Archiv von Bad Abbach 8.1.1. Heimatheft
30/2005 S.15.
4 Vormundschaftsrechnungen 1778/79 – 1806, 8 Bände. Archiv von Bad Abbach
8.1.3.
5 Vormundschafts Rechnungs Buch Churfürstl. Markts Abach 1795/96 S.11 v
Archiv von Bad Abbach 8.1.3.
6 Anmerkung: Als „Ausland“ galt bereits ein anderer Kreis oder Bezirk, z.B.
Regensburg
7 Vormundschafts Vormerkungs Buch 1805/06. S.2 Archiv von Bad Abbach a.a.O.
8 Vormundschafts Rechnungs Buch 1787 – 1790, S. 76-79. Archiv o.a.O.
9 Vormundschafts Vormerkungsbuch 1788/89/90, Buchstabe A. Archiv von Bad Abbach a.a.O
10 Die Kochs sind die Namengeber des „Kochzipfls“, weil sie dort (im jetzigen Anwesen Manglkammer) ihre Schreinerei hatten und über Generationen sozial sehr engagiert waren.
11 Vormundschafts Vormerkungsbuch 1788/89/90. Archiv von Bad Abbach a.a.O