Es ist schon lange her, als es mich einmal wie von einem Magneten angezogen zu einem Baumveteranen auf der „Plös“[1]zog. Ich benutzte damals noch einen altbekannten Schleichweg über die Schwefelquelle, den Hartlhof, den „Schirm“ und die Waldungen über den Felsen beim Löwendenkmal.

Schirm
Schirm

Dieser Tage erreichte ich das Ziel schneller und einfacher mit dem PKW über die Straße zur Siedlung auf dem Mühlberg.
Beide Male war das Objekt meines Interesses ein windverdrehter, uralter Birnbaum inmitten eines weiten, brachliegenden Hochplateaus. Ganz einsam steht er zur Zeit da, nur in Gesellschaft von neu erwachendem Löwenzahn und Brennnesseln und anderem Wildwuchs auf einem ansonsten brach liegenden weiten Flurstück.

Es handelt sich um einen Zuckerbirnbaum, der nicht von ungefähr hier steht und seine knorrigen Arme Tag und Nacht der Sonne, dem Regen und Sturm entgegenstreckt. Früher behauptete er sich in einer Gesellschaft, die längst das Zeitliche gesegnet hat. Der einsame Veteran hat sich auch eine erstaunliche Vitalität bewahrt. Auch heute trägt er im Herbst noch Zuckerbirnen, wie er sie schon den Kindern meiner Väterzeit darbot. Um die 100 Jahre dürfte er auf dem Buckel haben und diese lange Zeit hat er nur überdauert, weil der jeweilige Jagdpächter dieser Flur eine Stütze für den Hochsitz brauchte.

Baum
Baum

Dies lassen die vielen, sogar noch handgeschmiedeten Nägel erahnen, die sie in den Stamm getrieben haben. Die fortschreitende Industrialisierung lässt sich von ihnen ablesen:
Die geglätteten Eisenbolzen stammen aus der Esse des Schmieds Engelmann (später Lindinger, am Markt); ihnen folgten serienmäßig hergestellte Nägel, wie man sie bei jedem Fragner (= Gemischtwarenhändler) kaufen konnte.
Alle hinterließen sie handgroße Narben vom Boden bis zur Krone, wo noch bis vor kurzem ein morsches Sitzbrett liegen geblieben war.
Von diesem Platz aus lässt sich jedes scheue Reh und jeder lauschende Hase ausmachen, was dann ihr Schicksal bedeuten könnte.
Die Gegend hier war früher parzelliert und lag unter der Harke einiger Abbacher, die zwar ein Haus, aber wenig Grund und Boden in seinem Umkreis besaßen.
In unserer Familiengeschichte entdeckte ich einen Pachtvertrag zwischen meinem Großvater und dem Markt Abbach, demzufolge er eine Parzelle bewirtschaftete. Was dort nach seinem Willen und mit dem Segen Gottes spross und gedieh, ist mir durch meine Großmutter überliefert worden. Sie hat im hohen Alter noch darüber geklagt, wie sie sich schinden musste, wenn sie noch um 1925 das Gießwasser aus der Kuhtränke bei der Ziegelei (Scheider) mit dem Schubkarren über den steinigen Bergweg zum Pflanzbeet schieben musste. Heimwärts, wobei es nun bergab ging, lud sie auf den Schubkarren noch ein Fuder Gras, das sie von den Wegranken mit der Sichel schnitt, für die zwei Ziegen, die zuverlässig die Milch für ihre Kinder lieferten. Freudig erinnerte sie sich auch, wie sie im Vorübergehen immer auch ein paar Zuckerbirnen vom oben erwähnten Baum in die Schürzentasche stecken konnte, wenn sie gerade zeitig waren, und sie oder die Kinder nach ihnen Appetit hatten.
Während ich mir bei meinem letzten Besuch (März 2011) – in Gedanken natürlich und in meiner Phantasie – die süße Frucht im Mund zerrieb, reichte mein Blick rings herum bis zu den Horizonten. Dort sah ich Oberndorf, Lohstatt, Kapfelberg, Poikam, Berge um Kelheim; nach Süden hin Eigelstetten, Streicherhöhe, Frauenbrünnl, Peising und die Heidfeldsiedlung in Bad Abbach.
Eine Verbindung aus der Einsamkeit der Anhöhe zu den Häusern und Menschen im Tal ist der Weg zu den Stinkelbrunnen, wie die Schwefelquellen früher genannt wurden. Von dort her musste ja wohl meine Großmutter, seltener mein Großvater, den Schubkarren von der Kellerwirtschaft (der Dirigl-, später Schreinerwirtschaft), wo Großvater Wirt war, später vom Kochzipfl, und noch später von der Mitte des Marktes aus geschoben haben. Dort befand sich nämlich aufeinander folgend ihr Domizil in dieser Zeit.
„Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen!“(Genesis). Dieser Bannspruch Gottes im Paradies war den Menschen in der sog. „guten alten Zeit“ noch gegenwärtiger als uns Heutigen. Auch mir selbst wurde diese Wahrheit immer eindrucksvoll präsent, wenn ich an den alten Schubkarren, der noch ewig bei uns zu Hause herumstand, in den Blick bekam. Ich trage ihn als guten Helfer in Erinnerung. Zuletzt sehe ich ihn vor meinem geistigen Auge auf einem Erdhaufen, dem Kelleraushub zu unserem letzten Haus. Ich selbst sitze darauf, als ob ich ihn liebevoll hätscheln wollte. Ich denke über die Mühen meiner Großeltern und Eltern nach und denke mir, dass sie nun ihre ewige Ruhe gefunden haben.

Auf dem Bild befinde ich mich selbst im Jahre 1963 auf dem Schubkarren in unserem Garten an der Römerstraße sitzend.
Auf dem Bild befinde ich mich selbst im Jahre 1963 auf dem Schubkarren in unserem Garten an der Römerstraße sitzend.

Aus volkskundlichen Gründen möchte ich zum Vergleich noch ein ähnliches Transportmittel aufführen. Die Maurer nannten es „Rawern“, und sie schoben in ihr den frischen Mörtel von der Mörtelpfanne zur Arbeitsstelle eines Maurers.
Die Person ganz rechts im folgenden Photo bin ich im Alter von 17 Jahren[2] Ich half im Sommer 1950 bei den Aufräumungsarbeiten bei der zerstörten Obermünsterkirche in Regensburg. Diese wurde am 13.03.1945 bei einem Bombenangriff auf die Stadt vernichtet. Mein Transportgerät war also kein Schubkarren, sondern eine „Rawern“. Das am Photo fehlende eisenbereifte Holzrad muss man sich im Bild oben wie unten hinzudenken.

Die Studenten bei den Aufräumungsarbeiten
Die Studenten bei den Aufräumungsarbeiten

[1] Plös = Flurbezeichnung in Bad Abbach. Eine Brachfläche auf dem Mühlberg.
[2] Aus Vieracker, Christian. Das Bischöfliche Studienseminar St. Wolfgang in Regensburg. Universitätsverlag Regensburg. Regensburg 1999, S. 120.